Alleine für eine gewisse Zeit ins Ausland zu gehen, ist bereits sehr abenteuerlich und aufregend. Kinder im Gepäck zu haben und nicht zu wissen, ob man jemals zurückkommt, ist eine ganz andere Hausnummer.
In unserem Fall waren es zwei kleine Seelen, auf die wir zusätzlich gut Acht geben mussten, denn eine Auswanderung ist ein einschneidendes und sehr prägendes Ereignis für jedes einzelne Familienmitglied. Obwohl wir alle mit den gleichen grundlegenden Veränderungen konfrontiert wurden, trug jeder von uns sein ganz individuelles Sorgenpäckchen mit sich herum. Wie diese aussahen und was jeden einzelnen von uns in den letzten 16 Monaten am Meisten bewegte, fasse ich im heutigen Artikel zusammen.
Das Mädchen
Das Mädchen ist womöglich diejenige von uns, die am Meisten zu kämpfen hatte. Denn im Gegensatz zu Thomas und mir, war es nicht ihre Idee oder freiwillige Entscheidung, nach Amerika zu ziehen. Sie musste einfach mit. Außerdem erlebte sie diesen gewaltigen Umzug mit ihren damals knapp sechs Jahren sehr bewusst.
Mami, ich will bei Dir bleiben!
Die ersten Monate waren dementsprechend schwer für sie und mit viel Kummer verbunden. Sie vermisste ihre deutschen Mädchen und die Kontaktaufnahme fiel zunächst schwer, da ihr das notwendige Vokabular fehlte. Eigentlich war sie zu dem Zeitpunkt schon sehr abgenabelt von mir und in Deutschland hauptsächlich mit ihren Freunden unterwegs. Nach unserer Ankunft in Larchmont suchte sie jedoch intensiv meine Nähe. Statt tagsüber Kontakte im Sommercamp zu knüpfen, wollte sie lieber von früh bis abends bei mir sein (siehe auch „Auswandern – Kinder stecken doch nicht alles einfach so weg„).
Nachbarn, die der Himmel schickte
Der Neubeginn in der fremden Umgebung sorgte offensichtlich für Verunsicherung bei ihr und ich kann nicht oft genug betonen wie glücklich ich über den Einzug unserer lieben Nachbarn kurz nach unserer Ankunft war. Voller Geduld brachten sie meinen Nestlingen, die für sie unbekannte Sprache bei. Außerdem nahm meine Nachbarin das Mädchen ab September morgens gemeinsam mit ihren Kindern in die Schule. Das fand sie so fetzig, dass sie sich nicht ein einziges Mal sträubte hinzugehen.
Schule auf Englisch? Kein Problem!
Das Mädchen hatte auch großes Glück mit ihrer ersten Klassenlehrerin, denn sie ist klug, einfühlsam und unterstützte uns wo sie nur konnte. Sie hat ein gutes Herz und das Mädchen schloss sie schnell in ihres. Umso trauriger ist es, dass hier jedes Jahr die Klassenlehrer wechseln. Das Mädchen vermisst ihre Frau Corsi sehr, obwohl ihr neuer Lehrer (mit deutsch-polnischen Wurzeln so wie wir) auch ein wirklich Netter ist.
Schule war trotz meiner Bedenken nie ein Problem für sie. Sie kämpfte sich täglich tapfer durch die vielen Stunden (8.40 Uhr – 3 Uhr) und hohen Anforderungen. Sie erhielt spezielle Leseförderung und bereits im April las sie auf dem Level eines Zweitklässlers. Wir waren beide gleichermaßen von den Socken wegen ihrer enormen Entwicklung. Denn man muss ja immer im Hinterkopf behalten, dass die amerikanischen Kinder bereits ein Jahr früher im „Kindergarten“ (was hier einer Vorschule entspricht) lesen und schreiben lernen. Das Mädchen dagegen kannte weder das komplette Alphabet noch die Sprache. Umso erstaunlicher war es, wie flott sie mithalten konnte.
Sie las nun dem Bub vor und überhaupt schien sie gut angekommen zu sein. Sie wünscht sich immer mal wieder, dass wir nach Deutschland fliegen und ihre Freundinnen besuchen. Aber das ist eher ein freudig- hoffender Gedanke. Kein Unglücklicher.
Wackeln die Zähne, wackelt die Seele
Gerade als ich dachte, dass es nun rund läuft mit ihr, überraschte uns im Frühjahr eine neue, nervenaufreibende Phase. Drei Monate vor ihrem siebten Geburtstag verlor sie endlich ihren ersten Wackelzahn, was mit großer innerer Unruhe und Angespanntheit einherging. Zeitweise wirkte sie wie ausgewechselt.
Ich vermute, dass hier noch mal alles zusammen kam: Das schnelle körperliche Wachstum (sie schoss in die Länge), Schmerzen durch das Lösen und Wachsen der Zähne, das große Pensum, das sie in der Schule zu bewältigen hatte, das kleine Köpfchen, das wegen der „nicht Muttersprache“ ja immer doppelt so viel arbeiten musste wie die der Mitschüler und die Tatsache, dass der Brudi den ganzen Tag bei mir sein durfte und sie nicht.
Zum Glück ließ sie ihren Frust an mir und nie an ihren Lehrern oder Mitschülern aus, aber manche dieser hitzigen „Wellen“ waren so intensiv, dass ich mir Literatur zur sogenannten „Zahnlückenpubertät“ besorgte. Das Buch Gelassen durch die Jahre 5 bis 10* vom gewünschtesten Wunschkind half mir beispielsweise sehr dabei, nicht selbst die Nerven zu verlieren. Außerdem las ich wiederholt meine eigenen Artikel (wie 30 Ideen: So fühlt sich Dein Kind gesehen, verstanden und geliebt), die mich in solchen Notsituationen daran erinnern, was ein kleines, frustriertes Kinderherz am Meisten braucht.
Kleines Mädchen, große Kämpferin
Ich bewundere das Mädchen jedenfalls für ihre Stärke, ihren Kampfgeist und ihre Art sich einfach durchzubeißen, auch wenn es schwierig ist. Ich sehe, dass es ihr hier mittlerweile richtig gut geht und sie von unseren Auslandserfahrungen zehrt. Sie spricht Englisch fast auf muttersprachlichem Niveau, hat viele internationale Freundschaften geschlossen und für ihr junges Alter schon weit über den Tellerrand hinausgeschaut 🙂
Der Bub
Der Bub war bei unserer Auswanderung 2,5 Jahre jung und bekam den Wechsel auf den amerikanischen Kontinent noch nicht so bewusst wie seine Schwester mit, was durchaus Vorteile hatte. Allerdings begann er nach unserer Ankunft andere Kinder auf dem Spielplatz zu hauen. Ein völlig neues Verhalten für ihn. Zudem klammerte er wieder mehr an mir. Offensichtlich passierte durch die äußere Veränderung auch etwas in ihm.
Fast vier Jahre allein zu Haus‘
Der wohl größte Unterschied in seinem „Lebenslauf“ war ein weiteres Jahr mit mir zu Hause. In Deutschland wäre er ab September 2017 für 25 Stunden pro Woche in den wunderbaren Waldorfkindergarten vom Mädchen gegangen. In Larchmont gab es leider nur private Optionen für Kinder in seinem Alter (15 Stunden wöchentlich für etwa 10.000 Dollar pro Jahr). Er blieb deswegen noch bei mir.
Immer wieder schlichen sich leise Zweifel ein, ob ich dem Bub reiche. Ob es ihm nicht zu langweilig ist und er nicht doch mehr unter Kinder sollte. Doch er klemmte sich lange Zeit an mein Hosenbein. Ich hörte Sätze wie „Mama, ich will immer bei Dir bleiben!“ oder „Mama, ich will nicht groß werden, weil ich dann nicht mehr bei Dir sein kann!“ Er schien noch nicht bereit. Ob seine Anhänglichkeit durch die Auswanderung bedingt wurde oder eine Persönlichkeitsfrage war, weiß ich nicht. Doch sein großer „Mama-Bedarf“ ließ jegliche Sorgen verpuffen.
Obwohl es für mich anstrengender war, ihn ständig bei mir zu haben, sah ich, dass er diese Zeit genoss. Wir besuchten Naturzentren, Strände, den Zoo oder unseren Lieblingsbach um die Ecke.
Wir fuhren in verschiedene Indoorspielplätze, waren regelmäßig im Lego Land und Trampolin hüpfen. Aber wir werkelten auch im Garten, erledigten gemeinsam die Einkäufe, die Wäsche und den Haushalt. Schließlich besteht das Alltagsleben nicht nur aus Strand und Hüpfburgen.
Was auch immer wir machten, er hatte ausreichend Zeit für freies Spiel und vor allem für freies Spiel in der Natur. Ein Geschenk, das ich ihm dank unserer Auswanderung bereiten konnte.
Wenn Kleinkinder zweisprachig aufwachsen
Der Bub ist offen und kontaktfreudig. Mit seinem breiten Grübchengrinsen geht unverblümt auf ihm völlig fremde Menschen zu und quatscht sie an, im Notfall auch auf „Denglisch“. Im Gegensatz zu seiner Schwester spricht er nämlich beide Sprachen noch recht unausgereift. Der Umzug hat wahrscheinlich seine Sprachentwicklung etwas verzögert.
Wir hören öfter Sätze wie „Watch this. Mein Auto is gejumped!“, „Kannst Du das fixen?“ oder „Das ist too loud!“ Kinder, die zweisprachig aufwachsen, haben in jungen Jahren oftmals Defizite bei Wortschatz und Grammatik (siehe auch Zweisprachige Erziehung verzögert Sprachentwicklung). Allerdings sehe ich das entspannt, denn im Idealfall braucht er jetzt zwar länger, aber spricht in ein paar Jahren zwei Sprachen fließend.
Schulstart mit vier Jahren
Seit September 2018 besucht er die sogenannte Pre-K an der Schule des Mädchens für 2,5 Stunden täglich.
Kurz zum amerikanischen Schulsystem: Öffentliche Schulen beginnen mit Pre-K (in dem Jahr, in dem die Kinder vier werden), dann folgt Kindergarten (Vorschule), dann folgt die erste Klasse. In Pre-K ist zwar alles noch recht spielerisch, aber die Kinder werden dennoch schon ans Zählen, die Buchstaben, mathematische Formen usw. herangeführt. Wesentlich edukativer als in Deutschland, da sie auf den Kindergarten vorbereitet sein sollen, wo sie wie gesagt lesen und schreiben lernen. Schulpflicht besteht erst ab 6 Jahren. Den Bub schicke ich in die Pre-K, weil sie kostenlos ist, er große Lust auf andere Kinder hat und ich wirklich dankbar bin für dieses kleine Zeitfenster, was mir dadurch zur Verfügung steht.
Auf den Schulstart hat er sich nach seiner ausgiebigen „Klammerzeit“ riesig gefreut, aber er war selbstverständlich furchtbar nervös. Hier ist es üblich, dass die Kinder direkt ab dem ersten Tag an der Haupteingangstür der Schule abgegeben und verabschiedet werden, was viele Kinder natürlich zum Heulen fanden. Ich hab mich ein paar Tage lang freundlich durchgesetzt und den Bub auf seinen Wunsch hin bis ins Klassenzimmer gebracht. Als einzige Mutter… In der zweiten Woche durfte ich nicht mehr, aber die Schule bereitet ihm offensichtlich so viel Freude und er ist so selbstbewusst, dass er nun immer ohne mich (und ohne Tränen) hinein marschiert.
Ich bin zugegeben kein großer Freund von dieser Art Vorschule und würde den Bub tausend Mal lieber in einen Waldkindergarten stecken. Er ist dem Unterricht recht neugierig und unvoreingenommen eingestellt, aber beschwert sich öfter, dass es im Klassenzimmer zu laut ist. Noch geht er gerne hin, vielleicht ist es ja auch ganz gut, dass er nie andere Einrichtungen kennengelernt hat.
Meine Wenigkeit
Mit dem Kita-Start des Buben in Deutschland im Herbst 2017 hätte ich täglich von etwa 9-14 Uhr arbeiten können. Doch nun bestand meine Hauptaufgabe darin, das Rückgrat der Familie zu sein. Genau wie beim Langzeitstillen, war das nix, was ich geplant oder bewusst entschieden hatte. Die äußeren Umstände lenkten mich in diese Richtung und ich konnte das gut so annehmen. Das hieß allerdings nicht, dass ich immer rundum zufrieden und glücklich war. Denn was von außen betrachtet vielleicht wie entspanntes Herumlungern auf schönen Spielplätzen aussehen mag, ist in der Realität wesentlich kräftezehrender.
„Nur“ Hausfrau und Mutter
Meine Tage fangen in der Früh mit dem Zubereiten der Lunchboxen an und hören oft auch nachts nicht auf, wenn jemand Pipi muss, schlecht träumt oder krank ist. Ich versorge die Nestlinge, koche, gehe einkaufen, kümmere mich um den Haushalt, die Wäscheberge, Arzttermine und alle schulischen Belange. Ich bereite Ausflüge vor und Kindergeburtstage, plane den Wochenplan für’s Mittagessen und gemeinsame Aktivitäten. Kein freies Wochenende. Kein Urlaub. Ihr kennt das.
Für einige Arbeiten würde ich mir wirklich gerne Hilfe holen, weil immer etwas auf der Strecke bleibt (und Thomas durch seinen Job selbst von früh bis abends eingespannt ist). Putze ich die komplette Wohnung, habe ich keine Zeit zum Kochen oder für die Kinder. Fokussiere ich mich auf Aktivitäten mit den Nestlingen, leidet der Haushalt. Meine Zeit und Energie reichen einfach nicht, um alle Baustellen gleich gut abzudecken. Aber Reinigungskräfte zum Beispiel nehmen hier locker 30 Dollar pro Stunde, was wir uns nur ab und zu leisten. Wenn Besuch kommt oder vor Weihnachten beispielsweise… Babysitter-Preise sind ähnlich hoch angesetzt und nicht oft drin. Der Bub geht nun zwar in die Preschool, aber nur für 2,5 Stunden täglich. Davon bin ich 30 Minuten unterwegs. Vorerst bleibt das Meiste also weiterhin an mir hängen.
Bei all dem zog mich eine Weile lang am meisten runter, dass ich mir wirklich jeden Tag den Po aufreiße, um dann in so manchem Gespräch zu hören „Oh you are not working! You are a Stay-at-Home-Mom!“ Das mag meine persönliche Interpretation sein, aber das klang immer ein bisschen danach, als wenn ich den ganzen Tag die Füße hochlege und Kaffee trinke. Mangelnde Wertschätzung von „Hausfrauen“ halt. Dabei bezahlen die Frauen, die hier arbeiten gehen, eine irre Summe an Nannys und Tageseinrichtungen, die sich dann „nur“ auf das Kind konzentrieren können. Ihr merkt schon, das ist ein wunder Punkt bei mir.
Keine Energie mehr zum Schreiben
Zu allem Übel merkte ich im Frühjahr, dass mir der Spagat zwischen all meinen Alltagsaufgaben und dem Bloggen nicht mehr gelingen wollte. Der Bub macht schon lange keinen Mittagsschlaf mehr, er ging mit den länger werdenden Tagen vorzugsweise erst nach 21 Uhr ins Bett und ich war oft einfach so müde, dass ich selbst mit einschlief, wenn ich ihn in den Schlaf begleitete.
Ich bin gut so wie ich bin
Ich schielte damals verzweifelt auf andere Blogger, denen scheinbar so viel mehr gelang. Doch das bringt nix, außer doofe Gedanken. Irgendwann hörte ich auf, mich zu vergleichen und schlecht zu machen. Denn ich bin ich, nicht die anderen. Ich mache ziemlich viel in meinem Leben ziemlich gut. Meine Energie ist jedoch begrenzt und deswegen war es nicht nur wichtig auf die Bedürfnisse der Nestlinge zu achten, sondern auch meine eigenen wieder mehr wahrzunehmen.
Ich wollte nicht gereizt sein oder meckern, weil ich meinen selbst gesetzten Redaktionsplan nicht einhalten konnte. Gleichzeitig brauchte ich dringend etwas Zeit für mich, zum Beispiel für Sport zum Ausgleich. Denn ich konnte doch nicht über bedürfnisorientiertes Leben schreiben und zeitgleich meine Bedürfnisse permanent ignorieren. Das ergab alles keinen Sinn.
Wenn wir erschöpft sind, können wir nicht geben
Wenn ich langfristig eine gute Mutter sein möchte, vor allem in so einer Ausnahmesituation wie unserer, musste ich anfangen, auch für mich zu sorgen. Im Mai entschied ich mich deshalb, meine Blogarbeit vorerst zurückzustellen und mich stattdessen mehr um mein körperliches Wohlbefinden zu kümmern. Hier in Amerika habe ich wenige Möglichkeiten, mir den Alltag zu erleichtern, aber diesen Druck, regelmäßig neue Inhalte liefern zu müssen, konnte ich mir nehmen. Ich tat das schweren Herzens, weil ich gerne schreibe und mir diese Arbeit viel bedeutet. Aber wir befanden uns in einer Ausnahmesituation, die vieles von mir abverlangte. Jetzt hieß es Prioritäten zu setzen.
Selbstfürsorge fängt bei den körperlichen Grundbedürfnissen an
Kurz darauf meldete ich mich im Fitnessstudio an, wo ich 1-2 Mal die Woche trainiere und die Nestlinge mit hinnehmen kann. Sonntags Morgens gehe ich immer in ein ganz tolles Yogastudio. Wenn ich müde bin, gehe ich mit gutem Gewissen früh ins Bett. Ich koche uns gesundes und abwechslungsreiches Essen. An den Wochenenden futtern wir auswärts. Ich verschlinge viele Bücher und versuche so oft wie nur möglich unseren Alltag zu entschleunigen. Das sind alles nur kleine Justierungen, aber sie helfen mir bereits, um Kraft zu tanken und mich ausgeruhter zu fühlen. Meine Akkus langfristig auf einem guten Level zu halten.
„Wenn du es eilig hast, geh langsam. Wenn du es noch eiliger hast, mach einen Umweg.“
Japanisches Sprichwort
Zufriedener durch Dankbarkeit
Darüber hinaus erinnere ich mich regelmäßig an das Gute in meinem Leben. Wir sind eine gesunde Familie, die zusammenhält und in der jeder den anderen liebt und wertschätzt. Thomas findet mich großartig und all das, was ich für die Familie tue – er käme nie auf die Idee, mich am Abend zu fragen, warum dies oder jenes nicht erledigt ist. Wir leben hier vielleicht als unteres Glied der Nahrungskette, aber haben genügend Geld für eine gemütliche Wohnung, vernünftiges Essen und die Ausflüge, die wir so gerne mit den Kindern unternehmen. Ich kann meine Nestlinge begleiten und für sie da sein, wenn sie mich brauchen, was mir persönlich wichtig ist und viel bedeutet. Wir haben hier zumindest einige Gleichgesinnte getroffen, mit denen wir uns rege austauschen und beraten. Und wenn ich mir aktuelle Katastrophen wie den Tsunami in Indonesien vor wenigen Tagen anschaue, dann wir mir klar, dass unsere alltäglichen Herausforderungen im Grunde doch alles nur Luxusprobleme sind.
Was will ich? Was brauche ich? Was kann ich dafür tun?
Hab ich Euch eigentlich erzählt, dass ich im Frühjahr ein Horoskop von mir erstellen lassen habe? Dieses zeigte unter anderem, dass meine Stärke und Berufung darin liegt, Informationen zu recherchieren, aufzuarbeiten und weiterzugeben – Wissen und Erfahrungen zu kommunizieren, um anderen zu helfen. Nicht dass ich das nicht schon gewusst hätte, aber irgendwie tat es gut, dass die Sterne mir das bestätigen. So schräg das auch klingen mag 🙂
Langfristig betrachtet, möchte ich genau das intensiv ausbauen, weil mich das Schreiben neben den Kindern und der Familie sehr erfüllt. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen kann ich zwar noch nicht volle Kraft voraus fahren, aber ich nutze die wenigen Stunden gerade effektiv. Denn es ist doch egal wie groß die Schritte sind, ein Weg entsteht ja bekanntlich, indem man ihn geht.
Außerdem sehe ich doch wie schnell meine Nestlinge wachsen und dass es wirklich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ich mich wieder voll und ganz auf mich und meinen Kram konzentrieren kann. Deshalb genieße ich heute, dass ich Haare flechten, Bilder angucken und Kuscheleinheiten verteilen darf. Ich genieße diese intensive und anstrengende, aber auch so kostbare und einmalige Zeit mit den Kindern, bevor sie in einem Wimpernschlag auf und davon sind.
Grünes Licht für die grüne Karte
Wir haben jetzt zunächst den Greencard Prozess angeschubst, weil Thomas‘ Arbeitgeber die Kosten deckt und wir noch nicht bereit sind, nach Deutschland zurückzugehen. So blöd ich einige Dinge hier auch finde, in der Heimat ist ja auch nicht alles Gold, was glänzt…
Bis wir die Greencard in der Hand halten, werden etwa 1,5 Jahre vergehen. So ziemlich genau der Zeitpunkt, zu dem unser Visum ausläuft. Mit der Greencard hätte ich endlich eine offizielle Arbeitserlaubnis, im Moment bewege ich mich mit den Einnahmen dem deutschen Blog nämlich in einer Grauzone. Die Einkünfte sind nicht so richtig legal, aber offensichtlich auch nicht verboten. Jedenfalls wurden sie hier versteuert und ich habe nun eine Steuernummer. Immerhin.
Immer schön die Ohren steif halten!
„That’s a different world!“ sagte der Sicherheitsmann zu mir, als ich ihn bat, mich mit dem Bub bis zu seinem Klassenraum gehen zu lassen. Er verneinte beharrlich, auch auf meinen Hinweis hin, dass es in Deutschland üblich sei, so kleine Kinder in den ersten Tagen zu begleiten. Doch Recht hat er. Wir befinden uns in nicht mehr in Deutschland. Hier herrschen andere Regeln. Wir leben nun in einer völlig anderen Welt.
Grundsätzlich finde ich mich in dieser gut zurecht, obwohl ich in manchen Situationen wirklich finde, dass die Amerikaner einen Ratsch im Kappes haben. Also zum Beispiel wenn es darum geht, brüllende Dreijährige gegen ihren Willen in die Schule zu schleifen, statt ihnen etwas mehr Zeit oder die Eltern mit an die Hand zu geben. Aber es ist nun mal wie es ist.
Egal wohin Du gehst, Du nimmst Dich mit!
Ich habe ja kurzzeitig daran gedacht, das Handtuch zu werfen und in den Flieger nach Deutschland zu steigen. Doch dieser Satz „Egal wohin Du gehst, Du nimmst Dich mit!“ ist mein treuer, weiser Begleiter, der mich wieder einmal auf die richtige Spur gebracht hat. Es wird keinen Ort in der Welt geben, an dem alles meinen Vorstellungen und Erwartungen entspricht. Ich werde überall in Situationen geraten oder auf Menschen treffen, mit denen ich nicht einverstanden bin. Das ganze Leben wird voller unerwarteter und schwieriger Momente sein.
Probleme und Schwierigkeiten werden sich nie vermeiden lassen, egal wo ich bin. Aber ich kann mein Bestes geben, geschickte Lösungen und Kompromisse zu finden. Mich mit den Gegebenheiten zu arrangieren, ohne mich komplett zu verbiegen. Mich friedlich in der Masse zu bewegen, ohne mich und meine Werte aus dem Blick zu verlieren. Denn es finden sich immer friedliche Wege, wenn man möchte und ich will!
Thomas
Thomas müsste eigentlich seinen eigenen Artikel aus seiner Sicht über dieses Thema schreiben und ich will gar nicht zu viel über ihn verraten. Er ist seinem Traum bis nach New York gefolgt und hat nun einen Posten, um den ihn wahrscheinlich einige beneiden. Allerdings ist er trotzdem nicht glücklich damit. Das liegt hauptsächlich daran, dass ein Firmenwachstum von 3 auf knapp 100 Mitarbeitern in wenigen Monaten, neue Hierarchien und Veränderungen im Arbeitsalltag mit sich bringen.
Thomas leidet darunter, dass er jetzt nicht mehr in vielen, verschiedenen Bereichen mitarbeiten und mitentscheiden darf, was er anfangs immer tat und was eine seiner größten Stärken ist. Er wurde vor einigen Monaten in eine sehr spezifische Nische gesteckt. Für die Firma ist diese Spezialisierung das Beste, aber Fließbandarbeit, was sein Job mittlerweile für ihn ist, liegt ihm überhaupt nicht.
Zudem lastet als Alleinverdiener, vor allem in so einer teuren Region wie New York, ein riesiger finanzieller Druck auf seinen Schultern. Wir können hier zwar gut leben, aber keine üppigen Ersparnisse ansammeln wie wir es aus Deutschland gewöhnt sind. Deswegen arbeitet er bereits seit Monaten in seiner Freizeit an einem Plan B. Pausenlos. Er ist ja Autodidakt durch und durch und wenn er sich in etwas hinein „nerded“, dann trägt das in der Regel gute Früchte. Ich bin jedenfalls gespannt und arbeite zeitgleich an meinem, eigenen Plan B 🙂
Manchmal bedauert er, uns alle nach New York verschleppt zu haben, weil es aus seiner Sicht eine große, nicht immer positiv verlaufende Umstellung für uns alle war. Ich sehe das alles wesentlich entspannter. Ja, hier verläuft natürlich nicht alles rosig, wir sind beide rund um die Uhr eingespannt und in Deutschland wäre einiges sicherlich finanziell sicherer und leichter. Doch bei all der Normalität, die das Leben hier in New York für uns annimmt, dürfen wir nie vergessen, in was für einer privilegierten Situation wir uns befinden. Wir dürfen das erleben, wovon viele Menschen nur träumen. Mit allen Höhen und Tiefen, klar. Aber wir haben es bis hierhin geschafft!
Schlussgedanke
Die letzten Monate waren eine sehr bunte Mischung aus Tränen, Tiefs und vielen schönen Erlebnissen. Ich weiß noch wie sehr ich mich ursprünglich dagegen gewehrt hatte, mit der Familie ins Ausland zu ziehen. Und wie zwischendurch immer wieder starke Zweifel aufkamen und ich unsere Entscheidung in Frage stellte. Doch egal wie anstrengend und nervenaufreibend unser Abenteuer ab und zu auch war und wie sehr ich gelegentlich vor mich hin grummle, weil bestimmte Dinge hier so ganz anders laufen, als wir es von Deutschland kennen, habe ich unsere Entscheidung kein einziges Mal bereut.
Bei all den turbulenten Veränderungen gab es immer eine Konstante in unserem Familienleben: Vier Menschen, die stets zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen und aufbauen. Die Auswanderung hat sehr viel in jedem einzelnen von uns bewegt. Jeder von uns hat sich weiter entwickelt und ist über sich hinausgewachsen. Wir haben so viel gesehen und gelernt. Allein deswegen hat sich dieses Abenteuer schon gelohnt!
Eure Kathrin