Kurz nachdem ich bei Instagram durchblicken lassen habe, dass wir gerade grübeln, ob wir noch eine Weile hier bleiben, nach Deutschland zurückgehen oder vielleicht ganz woanders unsere Zelte aufschlagen, hatte Thomas ein klärendes Gespräch mit seinem Chef, in dem sich herausstellte, dass es finanziell am Klügsten ist, noch ein paar Jahre in New York zu bleiben.
Mir fiel, ehrlich gesagt, ein Felsblock vom Herzen. Denn es war Thomas’ Unzufriedenheit in der Firma, die ihn gedanklich dazu trieb die Zelte abzubrechen. Ich wäre sicherlich mitgegangen – egal wohin – wenn es die einzige Möglichkeit gewesen wäre, ihn glücklich(er) zu sehen. Aber eigentlich fühle ich mich noch nicht bereit für einen erneuten Tapetenwechsel. Allein der Gedanke an einen Umzug in der Größenordnung wie der letzte löst Widerstand in mir aus. Deswegen freue ich mich aufrichtig über diese Verlängerung.
Thomas im Fokus: Wo drückte der Schuh?
Dafür muss ich etwas ausholen.
Thomas war vor vier Jahren neben seinen beiden Chefs der einzige Mitarbeiter beim damals unbekannten Startup Frame.io . Weil wenig Kapital vorhanden war, hatte er sich darauf eingelassen, die ersten 6 Monate unentgeltlich zu arbeiten und dafür einige Anteile an der Firma zu erhalten. Eine sehr gewagte Entscheidung, wenn man bedenkt, dass ich zu dem Zeitpunkt mit dem Bub schwanger war und selbst nicht viel verdiente. Aber er hat das Potenzial der Firma erkannt, die Ängste über Board geworfen und so einen erheblichen Anteil am enormen Wachstum des Unternehmens geleistet.
Aufgrund einiger Umstrukturierungen und unglücklicher Entscheidungen in der Firma muss Thomas bereits seit etwa einem Jahr an Projekten arbeiten, die weit unter seinen Fähigkeiten liegen. Er empfindet seine aktuelle Tätigkeit als Zeitverschwendung. Sie zieht ihm wahnsinnig viel Energie und Lebensfreude. Sein Chef bemüht sich schon seit längerem, ihm wieder herausforderndere Aufgaben zuzuteilen, doch das dauert und Thomas befürchtet, dass es vielleicht gar nicht klappt. Sein Plan war deshalb, sich im Sommer seine Firmenanteile auszahlen zu lassen und wieder etwas Eigenes auf die Beine zu stellen.
Bei dem Gespräch mit seinem Chef stellte sich jedoch heraus, dass er jetzt zwar 100% Anrecht auf seine Anteile hat (das geschieht nach 4 Jahren Betriebszugehörigkeit), aber er sie erst dann verkaufen kann, wenn die Firma verkauft wird oder an die Börse geht. Diese juristische Regelung ist ein Schutzmechanismus der Firma, um die Mitarbeiter nicht vorzeitig zu verlieren wie es bei Thomas nun der Fall wäre.
Da ihm ohne das Geld dieser Anteile der finanzielle Spielraum für einen beruflichen Ausstieg (samt Familie) fehlt, bleibt uns also nichts anderes übrig, als bis zum „Cashout“ zu warten. Doch Thomas scheint – wie ich – vorerst seinen Frieden mit dieser Situation gefunden zu haben.
Bei Apple stehen alle Türen für uns offen
Im Dezember hat Thomas übrigens ein Jobangebot von Apple bekommen. Alles klang sehr verführerisch und für einen kurzen Augenblick haben wir gedanklich schon in Kalifornien unter Palmen gelegen und uns die Fußnägel von Haien abknabbern lassen. Wir haben tagelang darüber nachgedacht und geredet, alle Vor- und Nachteile abgewägt. Letztendlich waren wir uns einig, dass es für uns als Familie besser ist, in New York zu bleiben anstatt nach Cupertino zu ziehen.
Apple zeigte sich verständnisvoll, als Thomas absagte und fügte hinzu, dass er jederzeit im Team willkommen ist, falls er es sich eines Tages doch noch anders überlegt.
Dieses großartige und offenbar zeitlose Angebot fühlte sich für Thomas wie ein dicker Orden an und ich freute mich mächtig für ihn. Als ich ihn vor 13 Jahren kennengelernt habe, war er nämlich Hartz-IV-Empfänger – mit der Vision, sich selbstständig zu machen. Kaum jemand glaubte an ihn, die Meisten hielten ihn wahrscheinlich für einen Spinner mit seinen Träumen und Ideen. Doch er hat sich durch nichts davon abhalten lassen und weiterhin energisch seine Ziele verfolgt.
Alles was er heute weiß und womit er sein Geld verdient, hat er sich selbstständig – im Selbststudium – angeeignet. Wenn er etwas wissen will, „nerded“ er sich in das jeweilige Thema hinein. Eine Eigenschaft, die mich manchmal wahnsinnig macht (weil er sehr detailversessen ist), die ich aber gleichzeitig bewundere. Denn auf diese Weise – klug, fleißig und entschlossen – erreicht er seine gesetzten Ziele.
Das Angebot von Apple ist nicht nur sehr beruhigend für uns als Familie und ein sehr guter Plan B, falls wir finanziell darauf angewiesen sind. Es ist vielleicht auch genau die Bestätigung, die Thomas zu diesem Zeitpunkt gebraucht hat. Er hat zwar ungewöhnliche Fähigkeiten und durch diese starke Leistungen erbracht, aber gleichzeitig verfolgten ihn große Selbstzweifel. Einerseits glaubte er lange, nie etwas erreichen zu können, weil ihm Abitur und ein Studium fehlen. Andererseits hat er kein tiefgründiges Wissen in einem einzelnen Bereich, sondern er arbeitet gebietsübergreifend. Er ist ein Allrounder – etwas, was er immer für unzureichend hielt, aber nun genau das ist, was ihn in seiner Industrie einzigartig macht.
Zwischen zwei Welten
Wie oben erwähnt, finden wir unsere aktuelle Zwangslage gar nicht schlecht, weil uns so mehr Zeit bleibt, um in uns hineinzuhorchen. Um herauszufinden, was WIR – langfristig gesehen – wirklich wollen. Dessen sind wir uns gerade nämlich alles andere als sicher.
Es gibt vieles hier in New York, was wir sehr befremdlich finden. Hier dreht sich (unserer persönlichen Erfahrung nach) viel um Angst, Geld und Erfolg. Es ist beispielsweise möglich von jetzt auf gleich seinen Job zu verlieren, was theoretisch auch Thomas jederzeit treffen könnte… Trotzdem wohnen wir gerne hier. Wir lieben unser Haus, unser bildhübsches Städtchen mit den individuellen Häusern, die wunderschöne, grüne Umgebung, die Nähe zum Meer und den laaangen Sommer.
Ich für meinen Teil habe mich an die besonderen Rahmenbedingungen hier gewöhnt, bzw. einen guten Weg gefunden in diesen zu leben. Manche Situationen haben mich zwar stark an meine Grenzen getrieben und ich wünschte mir beispielsweise nichts lieber als einen tollen, deutschen Kindergarten für den Bub (siehe „Kindsein im Ausland„). Gleichzeitig sind es wahrscheinlich auch diese extremen Bedingungen, die mich gelehrt haben, die Gegebenheiten anzunehmen wie sie sind und darüber hinaus, das Gute in ihnen zu sehen.
Außerdem vermisse ich Deutschland noch nicht genug, um jetzt zurückkehren zu wollen. Ich verspüre weder Sehnsucht noch Heimweh, allerdings das intensive Gefühl, hier noch nicht fertig zu sein.
Äußere Umstände bewirken eine Reise ins Innere
Es gibt ja die Theorie, dass man sich überall mit hinnimmt und dass die Veränderung von äußeren Umständen (wie Umzug in ein neues Haus/ neues Land) nichts an den persönlichen Problemen ändert, weil ihr Ursprung in unserem Inneren liegt. Dazu gibt es auch eine schöne Zen-Geschichte, schaut mal hier.
Ich möchte dementsprechend herausfinden, ob es wirklich egal ist, wo ich lebe und ich quasi nur ausreichend an mir/ meiner Einstellung arbeiten muss, um jeden Umstand mit Gelassenheit annehmen zu können. Oder ob bessere Rahmenbedingungen, wie geringere Lebensunterhaltskosten, das Leben nicht vielleicht doch wesentlich einfacher gestalten – unabhängig von meiner Haltung.
Seit unserem Umzug nach New York nehme ich also mein Denken, Handeln und meine Art die Welt zu betrachten, noch mal genauestens unter die Lupe. Ich startete dabei ganz unbeabsichtigt eine augenöffnende Reise in mein Inneres. Aber jetzt wo ich mittendrin stecke und die vielen, wohltuenden Veränderungen erlebe, möchte ich diesen Weg erst für mich abschließen, bevor ich mich einer erneuten großen Veränderung – wie einem erneuten Umzug über den Atlantik – stelle.
Sommerurlaub in Deutschland
Jetzt freue ich mich zunächst, dass ich im Sommer fünf Wochen in Deutschland verbringen und all meine lieben Mädels wieder sehen darf. Thomas wird uns etwa zwei Wochen begleiten. Die Flüge habe ich Anfang Februar gebucht (so früh wusste ich noch nie, was ich im Sommer machen werde) und jetzt bin ich ganz aufgeregt. Die Nestlinge übrigens auch.
Für uns wird es eine gute Gelegenheit sein, ein aktuelles Gefühl für die alte Heimat zu bekommen. Wir sind gespannt, was uns erwartet und ob uns dieser Urlaub vielleicht hilft, klarer zu sehen, wo wir eigentlich hin wollen. Für welches Land unser Herz so richtig dolle schlägt.
Trotzdem ist es für mich beruhigend zu wissen, dass wir nach dem Sommerurlaub wieder nach New York zurückkehren dürfen. Dass wir noch mindestens einen weiteren amerikanischen Sommer hier verbringen, weitere Teile des Landes erkunden und hoffentlich noch viele liebe Menschen hier kennenlernen & empfangen dürfen. Denn wie gesagt, wir sind hier noch nicht fertig 😉