Am Anfang letzter Woche wollte das Mädchen noch den Kalender manipulieren, damit sie nicht in die Schule gehen muss. Am Ende des ersten Schultages sagte sie bereits: „Ich freue mich schon auf morgen!“
Rückblick: „Ich will nicht in die Schule!“
Nachdem das Sommercamp so ein Flop war und ich das Mädchen vorzeitig rausgenommen hatte, damit sie nicht unnötig leidet, hatte ich furchtbar großen Bammel vor dem ersten Schultag.
Sie wiederholte mantraartig und fast täglich, dass sie nicht in die Schule will. Sie fragte mich ständig, warum sie denn in die Schule müsse. Statt Freude breiteten sich Ängste und Sorgen in ihrem Kopf aus.
Erkenntnis: Ich bin kein „Homeschooling-Typ“
Eigentlich müsste sie ja nicht in die Schule, denn hier in Amerika gibt es nur eine Bildungs- und keine Schulpflicht. Und obwohl viele von Euch immer wieder das Konzept „Homeschooling“ für uns vorschlagen, bin ich schlichtweg nicht der Typ dafür.
Ich kann problemlos lange Stillen, mein Bett mit den Kindern teilen und sie auch heute noch tragen; ich denke mir gerne sinnvolle Tagesbeschäftigungen für uns aus und verbringe viel Zeit mit ihnen. All das macht mir nichts aus – im Gegenteil ich mag es sehr. Meine Kinder zu Hause zu unterrichten, kann ich mir jedoch überhaupt nicht vorstellen. Es würde mich und das Verhältnis zum Mädchen sehr wahrscheinlich stressen unter anderem weil ich eine Perfektionistin bin.
Es gibt strikte Regeln und Richtlinien seitens des Bundesstaates New York, die beim Homeschooling eingehalten werden müssen und regelmäßige Tests, die den Fortschritt der Kinder dokumentieren. Das allein würde mich schon unter Druck setzen. Zudem will ich mich nicht durch amerikanischen Grundschulstoff arbeiten, damit ich weiß, was sie wissen muss. Ich will den Fokus nicht auf pädagogisch wertvolle Aktivitäten im Alltag setzen. Und ich möchte meine Abende – die wenige freie Zeit, die mir zur Verfügung steht – nicht damit verbringen, die nächste Unterrichtseinheit zu planen.
Ich sehe mich nicht als die Lehrerin meiner Kinder. Das ist eine Aufgabe und Verantwortung, der ich mich nicht gewachsen fühle. So sehr Homeschooling also von außen betrachtet zu unserem Lebensstil passen könnte, ich bin froh und dankbar, dass andere Personen meinen Kindern das Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen.
Erster Schultag: Loslassen und weinen
Dennoch war ich furchtbar nervös vor dem Schulbeginn. Denn das Mädchen lässt sich nicht zwingen. Wenn sie etwas nicht will, weil sie es nicht mag, dann wird es schwierig sie vom Gegenteil zu überzeugen. Umso mehr hoffte ich also, dass ihr die Schule gefallen würde.
Thomas hatte sich für den ersten Schultag extra frei genommen und wir brachten sie 8.40 Uhr gemeinsam in ihr wunderschönes, großes Klassenzimmer (die Schule geht immer von 8:40 Uhr bis 15 Uhr). Während ich etwas verloren neben ihr stand, spielte Thomas im hinteren Teil des Raumes, einer kuschelige Spielecke, mit dem Bub – damit ich mich in Ruhe um sie kümmern konnte.
Sie war spürbar aufgeregt, als sie sich an den kleinen runden Tisch setzte, auf dem ihr Namensschild lag. Ich fühlte mich schrecklich.
Dann schellte die Lehrerin ein kleines Glöckchen (das Signal, das wir Eltern verschwinden sollen) und ich nahm sie noch einmal fest in den Arm. Was auch immer an diesem Tage auf sie warten würde, sie musste es nun alleine regeln. Ich weinte. Am liebsten hätte ich so richtig losgeheult, aber ich versuchte so zu weinen, dass sie es nicht sah. Denn sie war im Gegensatz zu mir erstaunlich tapfer und ich wollte sie auf keinen Fall anstecken.
Elterncafé: Eine Feierlichkeit für die Kinder wäre mir lieber gewesen
Für uns Eltern gab es ein Begrüßungscafé mit einem riesigen Buffet, an dem der Bub es sich so richtig gut gehen ließ. Ich brauchte allerdings eine Weile (im Bad für mich alleine), bis ich mich wieder gefasst hatte. Sinn und Zweck der Eltern-Veranstaltung war, sich an den verschiedenen Ständen der Elternorganisationen einzuschreiben, die sich ehrenamtlich um die Verbesserung der Schule kümmern. Die einen gärtnern, die anderen veranstalten Indoor-Aktivitäten im Winter, wieder andere helfen neuen Eltern sich zu orientieren. Und so weiter und so weiter.
Ich trug meine E-Mail-Adresse in verschiedene Listen ein und fühlte mich schlecht. Die Eltern schlugen sich die Bäuche mit Kaffee und Kuchen voll und plauderten ausgelassen, während den Kindern ein langer und sehr unspektakulärer Tag bevorstand.
Ich kann ehrlich gesagt nicht glauben, dass die Kinder hier nach zehn Wochen Sommerferien einfach so von 8:40 Uhr bis 15 Uhr in die Schule gehen und es nichts, also wirklich nichts Besonderes für sie gibt. Die Amerikaner feiern doch sonst immer alles mit BBQ, Live Band und Feuerwerk, aber der Schulanfang ist hier so unspektakulär wie der Gang zur Toilette. Echt seltsam.
Zuckertüte: Heiße Importware
Selbstverständlich hatte ich für das Mädchen eine Zuckertüte vorbereitet. Ich hatte extra einen Rohling in einer Umzugskiste aus Deutschland eingeschmuggelt. Deutsche Familie = deutsche Traditionen. Ganz klar.
Mit der Übergabe wartete ich allerdings bis nach Schulschluss. Mal davon abgesehen, dass ich es den anderen Kindern in der Schule gegenüber unfair gefunden hätte, wusste ich nicht wohin damit. Also habe ich am Nachmittag eine winzige Zuckertütenparty veranstaltet.
Das Mädchen bekam ihre große Schultüte und dem Bub und den Nachbarskindern überreichte ich die Mini-Version. Herrlich diese strahlenden Kinderaugen.
Interessanterweise zog das Mädchen dann den Rückzug an. Sie wollte lieber alleine spielen. Ich glaube, sie war hundemüde und total fertig von ihrem ersten, langen Schultag. Und ich habe mich an diesem Nachmittag noch mal neu in sie verliebt. Wie sie da saß und so friedlich und versunken mit ihren Puppen spielte, ohne den Rest in der Tüte auszupacken. Dieser konzentrierte, reife Gesichtsausdruck. Dieses hübsche Gesicht. Mein kleines, großes Mädchen…
Zuckertütenfüllung: Keine Vorzeigetüte, oder?
Hatte ich euch eigentlich erzählt, dass das Mädchen in Deutschland eine kleine Sparbüchse hatte und ich ihr dieses Geld nach der Auswanderung in Dollarscheinen in die Hand gedrückt habe? Mit diesen 30 Dollar ist sie jedenfalls in einen Spielzeugladen und hat sich davon ihr allererstes Spielzeug hier gekauft. Eine Anna und eine Elsa Puppe 🙂
Nach einiger Zeit hatte sie sich Männer für ihre Mädels gewünscht und deswegen befanden sich in der Zuckertüte Kristoff und Prinz Eric. Weil sie mit dem Schulstart Taschengeld von uns bekommt (2 Dollar pro Woche – in Deutschland wäre es 1 Euro pro Woche gewesen), steckten in der Tüte ein Portemonnaie und eine Spardose. Außerdem habe ich noch Gummihopse, ein Tangram und einen kleinen Kreisel zum Spielen besorgt. Ein paar hübsche Socken als Füllmaterial. Und natürlich Süßkram.
Als Glücksbringer und Kraftspender hatte ich ihr außerdem einen kleinen Schutzengel aus Rosenquarz (ihr Geburtsstein) in ihren Rucksack gesteckt. Ich trage ja seit unserer Auswanderung einen Heilstein (Rubin) als Kette und bilde mir ein, dass er mir hilft. Ich finde es schön, dass sie sich an etwas festhalten kann, wenn sie Kummer hat oder ihr danach ist. Sie auch, denn sie holt ihren kleinen Engel öfter aus der Tasche, so jedenfalls ihre Lehrerin.
Klassenlehrerin: Lieb und klasse
Die Klassenlehrerin des Mädchens scheint echt klasse zu sein. Einen Abend vor der Schuleinführung erhielt ich eine E-Mail von ihr, mit der sie mich beruhigte, weil sie von ihrer langjährigen und „erfolgreichen“ Erfahrung mit Kindern erzählte, die am Anfang des Schuljahres kein Wort Englisch sprechen konnten. Zudem ließ sie uns Eltern einen Fragebogen ausfüllen (Was mögt ihr an eurem Kind am meisten? Was könnte Schwierigkeiten bereiten? Und so weiter…), damit sie „ihre Kinder“ besser einschätzen und verstehen lernt. Das fand ich super.
In einem Brief an uns Eltern erklärte sie außerdem, dass sie sich in den ersten Wochen zunächst um den Klassenverband und die Beziehung der Kinder untereinander kümmert. Dass sie großen Wert auf ein gutes Miteinander legt. Ich hätte sie vor Freude knutschen können.
Es ist schwer einen Menschen nach so wenigen, kurzen Begegnungen abzuschätzen, aber sie ist mir ungemein sympathisch. Als ich zum Mädchen sagte: „Ich glaube Deine Lehrerin ist super lieb!“ entgegnete sie „Ja! Sie ist sogar viel lieber als Du!“ Als ich schmunzelte, fügte sie mit einem schelmischen Grinsen hinzu: „Veräppelt!“
Schulbeginn: „Ich freue mich auf morgen!“
Nach ihrem ersten Schultag war das Mädchen zwar hundemüde, aber sie wirkte entspannt. Auf meine Frage wie es ihr gefallen hat, antwortete sie „Gut!“
Was genau sie den ganzen Tag in der Schule macht, wird wahrscheinlich für immer ein Rätsel für mich bleiben. Sie kann zwar ohne Luft zu holen quasseln, aber wenn ich mal versuche ein paar Fakten aus ihr herauszuquetschen, bleibt sie stumm wie ein Fisch. Oder sie wirft mir nur ein paar Wortfetzen an den Kopf, aus denen ich mir dann etwas zusammenreimen muss. Von ihrem sechs Stunden Schultag bleibt dann nur übrig: „Wir haben heute Musik gemacht und ich wollte nicht trommeln!“ oder „Wir waren heute in der Turnhalle!“
Mein Gefühl nach der ersten Woche ist jedoch ein sehr gutes. Trotz ihrer anfänglichen Unsicherheit und Bedenken, hat sie sich super mutig dieser neuen Situation gestellt. Dafür bewundere ich sie übrigens immens.
Nach dem ersten Tag erleichterte sie uns mit einem: „Ich freue mich auf morgen!“ Und auch am Ende der ersten Woche kam sie fröhlich pfeifend aus der Schule und gab uns zu verstehen, dass sie am Montag wieder hinmöchte. So weit, so gut.
Schulessen: Mama kocht!
Ganz und gar nicht gut ist die Tatsache, dass ich nun jeden Tag eine Lunch Box packen muss. In ihrem Waldorfkindergarten in Krefeld bekam sie jeden Mittag warme, frischgekochte, Bio-Vollwert-Kost, welche ihr schmeckte und mir viel Zeit in der Küche ersparte. Hier in der Schule gibt es auch einen Essenslieferanten, aber mir wurde von allen Seiten dringend von diesem abgeraten.
Und nun stehe ich jeden Morgen in der Küche und versuche schnelle, aber leckere und abwechslungsreiche Gerichte für das Mädchen zu kochen. Das hat den großen Nachteil, dass der Tag für mich recht angespannt beginnt, weil ich statt zu frühstücken oder noch ein paar Minuten mit dem Bub im Bett zu kuscheln die Pfannenwender jongliere.
Wenn ich das Ganze jedoch geschickt plane (ich befinde mich erst am Anfang der Planungsphase und nehme jeden noch so kleinen Tipp dankbar entgegen), dann bleibt mir damit das Kochen am Mittag erspart und ich kann den Vormittag entspannt mit dem Bub in der Weltgeschichte genießen.
Neuer Alltag: Kleinkindbeschäftigung
Der Bub hat am ersten Schultag übrigens auch furchtbar doll geweint und sich kaum beruhigt. Weil er so gerne im Klassenzimmer vom Mädchen bleiben (und die ganzen bunten Kisten auseinander nehmen) wollte, aber nicht durfte. Wenn sie doch nur hätten tauschen dürfen…
Damit ich ihn nicht jeden Tag todtraurig vom Schulgebäude wegschleifen muss, habe ich mir ein kleines Programm für ihn für die erste Woche ausgedacht. Wir sind durch tiefe Wälder gestapft, haben uns im „Trampolinland“ ausgetobt und wir sind ins Kindermuseum gefahren. Der Bub hatte riesigen Spaß und überhaupt kein Problem mehr, der Schwester am Morgen „Tschüß“ zu sagen.
„Am meisten vermisse ich, dass ich euch nicht mehr so oft sehen kann!“
Je näher der Montag rückte, desto trauriger wurde das Mädchen. „Ich will nicht in die Schule!“ protestierte sie.
Ich setzte mich mit ihr hin und versuchte herauszufinden, wo der Schuh drückt. Irgendein Junge hatte gestänkert. Aber am allerschlimmsten war wohl für sie, dass sie nicht mehr so viel Zeit mit uns verbringen konnte. Dass sie den Bub und mich nicht bei unseren Unternehmungen begleiten durfte. Das machte mich traurig, weil ich es nachvollziehen, aber nicht ändern konnte.
Zur Schule laufen mit den Nachbarskindern
Glücklicherweise sah sie heute Morgen (=Montag der zweiten Schulwoche) wie die Nachbarskinder sich zu Fuß auf den Weg zur Schule machten. „Mami, Mami, kann ich mitlaufen?“ hörte ich sie aufgeregt rufen. Ich schnappte geschwind mein Rad und wir nahmen die Verfolgung auf.
Auf dem restlichen Weg zur Schule quatschen und spielten unsere Kinder und die Sorgen des Mädchens schienen vergessen. Am Haupteingang drückte sie mir einen dicken Kuss auf den Mund, nahm die Nachbarstochter bei der Hand und marschierte flugs ins Gebäude hinein. Der Bub fragte gutgelaunt: „Und was machen wir jetzt?“
Das erste Schuljahr: Sicherlich ein ewiges Auf und Ab
Ich bin überzeugt, dass noch der eine oder andere „Bauchweh-Schulmoment“ auf uns wartet und sich das Stimmungsblatt immer wieder wenden wird. Wie könnte das in so einer aufregenden Zeit auch anders sein?
Grundsätzlich ist mein Gefühl nach den ersten Tagen durchweg positiv und zuversichtlich. Ich bin ziemlich erleichtert.
Denn die Schuleinführung in einer deutschen Schule wäre schon aufregend gewesen. Ein großer Schritt. Ein Schulstart in einem fremden Land, dessen Sprache ein Kind nicht kennt, ist noch mal eine ganz andere Dimension. Das verlangt Großes von unserem eigentlich noch sehr kleinen Mädchen ab.
Jetzt hoffe ich nur, dass es ihr gelingt durchzuhalten und Fuß zu fassen. Dass ich sie ausreichend aufbauen und motivieren kann. Oder unsere Nachbarskinder. Oder eine Klassenkameradin.
Jetzt bin ich also eine Schulkind-Mama – echt schräg wie verflixt flott die Zeit verfliegt! In bin jetzt jedenfalls eine Schulkind-Mama (kann es noch kaum glauben), die ungeheuer stolz auf ihr Mädchen ist. Auf dieses kleine, aber starke Wesen, das gerade dabei ist, unfassbar über sich hinaus zu wachsen…
Eure Kathrin