Ende Februar vor drei Jahren sank mir das Herz mächtig in die Hose, weil unser Visum für Amerika bestätigt wurde. Dann ging alles ziemlich flott – wir verkauften innerhalb von 3 Monaten unseren gesamten Hausstand. Bis auf vier Koffer und 8 Umzugskartons ließen wir alles zurück, um am 1. Juni 2017 unser bislang größtes Familienabenteuer anzutreten: Unsere Auswanderung nach New York.
Obwohl ein Leben im Ausland mit unseren Nestlingen bis dato überhaupt kein Konzept für mich war, mochte ich wie der Fluss des Lebens uns einfach hier hin gespült hat. Und dass wir uns haben spülen lassen 🙂
Das Mädchen will auf keinen Fall nach Deutschland zurück
Jedes Mal, wenn Thomas und ich in den letzten Jahren „brainstormten“, ob wir länger in Amerika bleiben wollen oder vielleicht doch lieber zurück, empörte sich das Mädchen (heute 8,5 Jahre): „Ich will nicht nach Deutschland zurück! Ich will nicht umziehen!“ Eine konkrete Antwort auf unser „Warum?“ hatte sie jedoch nie.
Vielleicht kann sie sich noch gut an die holprige Landung in New York erinnern. Das Gefühl, niemanden und vor allem nicht mal die Sprache zu kennen. Eine tiefsitzende und herausfordernde Erfahrung, deren Wiederholung sie eventuell vermeiden möchte (siehe Auswandern: Kinder stecken eben doch nicht alles so weg).
Vielleicht ist sie aber auch einfach glücklich hier!? Sie spricht schon seit langem fließend Englisch. Wenn es um die Aussprache geht, ist sie ein echtes „American Girl“. In der Schule kommt sie ebenfalls gut zurecht. Sie hat Freunde. Mag unser Haus, unsere Katzen und unser Leben hier. Sehr sogar.
Der Bub erweitert seinen Mama-Radius
Der Bub (5 J.) war bei unserer Auswanderung ja gerade 2,5 Jahre jung – ein Alter, in dem Sprache noch keine große Rolle spielte und er sich überall wohl fühlte wo ich war. Der Neustart in der Fremde war für ihn deshalb kein Problem, er war nur extrem anhänglich (siehe Heute braucht er dich – in 15 Jahren will er nur noch deinen Autoschlüssel).
Im Herbst 2018 (mit knapp 4 Jahren) meldete ich ihn zum ersten Mal an einer Preschool an. Das ging leider nach hinten los, weil ich aus Sicherheitsgründen das Gebäude nicht betreten durfte. Ihn einfach am Haupteingang abgeben musste. Die mangelnde Eingewöhnung fand er so doof, dass ich ihn ein weiteres Jahr bei mir zu Hause ließ (siehe Kindsein im Ausland: Der Kindergarten in den USA).
2019 gab ich alles, um eine gute Einrichtung für sein letztes Jahr vor dem richtigen Schulbeginn zu finden. Mit Erfolg. Seit dem Herbst 2019 geht er in einen wundervollen Kindergarten mit riesigem Außengelände, das auch tatsächlich bei Wind und Wetter genutzt wird. Das Spielen steht im Vordergrund und ich darf ihn jetzt JEDEN TAG bis in sein Zimmer bringen und auch dort wieder abholen.
Er geht gerne hin und knüpft seine ersten, zarten Freundschaften. Poliert seine Sprachkenntnisse auf. Übt sich im Abkapseln von mir. Und ich? Ich bin einfach nur dankbar für die Auszeit und dass er in so guten Händen ist.
„Später“ Schulstart mit 5 Jahren
Der offizielle Schulbeginn für den Bub wäre übrigens 2019 gewesen. Hier in Amerika geht es ja mit der „Kindergarten-Stufe“ los – dieses Kindergartenjahr entspricht der deutschen ersten Klasse, nur mit geringeren Anforderungen. Der Schultag geht wie bei allen anderen Stufen von 8.40 Uhr bis 15 Uhr und im Gegensatz zur Preschool wird hier viel gesessen und gelernt. Durchaus spielerisch, aber von der bisher gewohnten Bewegungs- und Spielfreiheit ist der Ablauf weit entfernt.
Während die Kinder in New York City tatsächlich in dem Jahr, in dem sie fünf werden in die Schule müssen, haben wir Eltern in den Vororten die Möglichkeit, unsere spät im Jahr geborenen Nestlinge noch ein Jahr zurückzuhalten. Der 6. Geburtstag vom Bub ist Ende November 2020 und ich habe von unserem Recht natürlich gerne Gebrauch gemacht.
Zu Hause bitte nur Deutsch!
Dass die Englischkenntnisse der Beiden mittlerweile so gut sind, wirkt sich negativ auf ihre Muttersprache aus. Wenn ich sie ließe, würden sie wahrscheinlich auch zu Hause hauptsächlich Englisch (oder einen Kauderwelsch aus beiden Sprachen) sprechen. Ich lasse sie aber nicht.
Denn heute bedeutet das Aufrechterhalten ihres deutschen Wortschatzes täglich nur ein kleines bisschen Mehraufwand und Mühe. Lassen wir das Schleifen gerät alles in Vergessenheit und sie müssen sich später richtig reinknien, um ihre Kenntnisse aufzufrischen.
Wir haben zwar noch keinen blassen Schimmer, was die Zukunft bringt – ob wir für immer hierbleiben oder doch eines Tages nach Deutschland zurückkehren. Doch unabhängig davon, ist es eine einzigartige Gelegenheit zweisprachig aufzuwachsen. Und mir ist daran gelegen, dass sie diese Chance nicht verpassen.
Deswegen gibt es bei uns zu Hause oder wenn wir nur zu Viert unterwegs sind die „Wir sprechen Deutsch – Regel“. An manchen Tagen bin ich sehr streng und tue so, als wenn ich nichts verstehe, wenn sie mir was auf Englisch erzählen. Dann wieder reicht ihnen meine Erinnerung: „Wie heißt das auf Deutsch?“ Eine Frage, die sie mir übrigens gerne stellen, wenn ich hin und wieder ein englisches Wort einschiebe 🙂
Am 31. Januar 2020 lief unser altes Visum aus
Deutlich weniger spaßig verlief die Beantragung unserer neuen Aufenthaltsgenehmigung. Unser erstes Visum wurde am 1. Februar 2017 ausgestellt und war 3 Jahre gültig.
Sehr optimistisch haben wir 2018 direkt die Greencard beantragt. Über Thomas’ Firma und Mithilfe von Anwälten.
Noch keine Greencard: Schärfere Regeln verlangsamen den Prozess
Im Oktober 2018 schrieb ich: „Bis wir die Greencard bekommen, werden etwa 1,5 Jahre vergehen. So ziemlich genau der Zeitpunkt, zu dem unser Visum abläuft.“ Da hatte ich allerdings noch keine Ahnung, dass Trump 2019 die Einwanderungsregeln verschärfen und damit die Greencard-Prozesse verkomplizieren würde.
Was hat sich geändert? Einerseits wird nun JEDER interviewt – es gibt nicht mehr nur Stichproben wie früher, was die Wartezeiten enorm verlängert. Zudem müssen die Anträge äußerst hieb- und stichfest sein.
In Thomas’ Fall war das ziemlich aufwändig. Die Firma musste seine Stelle ausschreiben und sich nach mehreren Monaten vom Arbeitsamt bestätigen lassen, dass es niemanden gibt, der seine Aufgabe übernehmen kann. Gleichzeitig sammelten Thomas’ Anwälte jede Menge Referenzschreiben von bedeutenden Menschen, die bezeugen wie „einzigartig und unersetzbar“ er ist.
Unsere Unterlagen waren erst Anfang dieses Jahres komplett und sie befinden sich nun auf dem Weg zum Immigrationsamt. Wie lang sich der Prozess von nun an noch in die Länge zieht, steht in den Sternen…
Aufatmen: Zumindest ein neues Visum!
Als wir im Sommer 2019 merkten, dass die Greencard noch sehr viel länger auf sich warten lässt, beantragten wir zur Überbrückung die Verlängerung unseres Visums. Aber auch das verlief nicht hürdenfrei und war letztendlich eine echt knappe Geschichte. Erst ein paar Tage nach Ablauf unseres alten Visums am 31. Januar 2020 – gab es die offizielle Bestätigung: Wir dürfen noch 3 Jahre bleiben! Yeah!
Keine Greencard = keine Arbeitserlaubnis für mich
Für die Kinder und mich gibt es nur das O3-Visum. Ein sogenanntes Abhängigkeitsvisum, mit dem wir hier sein, aber nicht arbeiten dürfen. Eine Arbeitserlaubnis bekomme ich erst mit dem Erhalt der Greencard. Aber zumindest sind meine Einnahmen durch den Blog ok – solange ich auf diese amerikanische Steuern zahle, versteht sich.
Einige Stimmen haben mich damals davor gewarnt, dass ich mich komplett abhängig mache und mir darüber im Klaren sein sollte. Die möglichen Konsequenzen überdenken. Doch Thomas hatte mich 2008 bei meinem großen Wunsch – dem 2-jährigen Masterstudium in York (Großbritannien) – unterstützt. Für mich stand zweifellos fest, dass ich ihm nun helfe, seinen Traum zu verwirklichen.
Für mich war die finanzielle Abhängigkeit tatsächlich eine ungewohnte Umstellung, weil ich immer gearbeitet und mein eigenes Geld verdient habe. Auch war es nie mein brennender Wunsch, den Bub 4,5 Jahre zu Hause zu betreuen. So lange ganztags für die Nestlinge da zu sein.
Aber ich habe mich bewusst und somit wie immer mit ganzem Herzen für diese Situation entschieden. Ich sehe unser Abenteuer – die Möglichkeit hier und so intensiv für meine Nestlinge da sein zu dürfen – als ein großes Geschenk. Welches ich dankend annehme und genieße!
Kleine Sinnkrise: Was will ich?
Und trotzdem schlitterte ich letztes Jahr in eine etwas intensivere Grübelphase. Da war plötzlich dieses beißende Gefühl vielleicht doch nicht genug erreicht zu haben.
Gleichzeitig beschäftigten mich auf einmal Grundsatzfragen, die ich mir bis dato nie gestellt hatte: Warum bin ich hier? Wer bin ich? Was ist der Sinn des Lebens? Meine Bestimmung? Meine Aufgabe?
Je weniger die Nestlinge mich brauchten, desto mehr entstand in mir der Drang mich anderweitig einzubringen. Mich nützlich zu machen. Aber wie?
Das, was ich vor den Kindern jahrelang gelernt, studiert und gearbeitet habe – Kunstglaserin und Glasrestauratorin – berührt mein Herz schon lange nicht mehr. In diesen Beruf will ich nicht zurück.
Den Nestling-Blog zu schreiben und Eltern zu helfen, erfüllt mich. Doch mit dem Älterwerden der Nestlinge entferne ich mich zunehmend von den klassischen bindungsorientierten Themen. Das, was mich aktuell beschäftigt, passt nicht mehr 100%ig auf den Erziehungsblog. Oder doch? Außerdem ist da diese Stimme, die mir zuflüstert: „Du kannst noch viel mehr!“
Radikale Akzeptanz: Bedingungslos annehmen, was ist
Dann tat ich, was ich bei Unklarheiten immer tue. Ich las. Dabei stieß ich auf viele gute Wegweiser wie die simple, aber unglaublich kraftvolle Technik des radikalen Akzeptierens.
Ich machte eine kleine Inventur: Ja, ich hab beruflich vielleicht noch nicht so viel gerissen und vielleicht werde ich das auch nicht mehr. Vielleicht verbringe ich auch noch die nächsten drei Jahre offiziell damit, Hausfrau und Mutter zu sein. Nur ein paar Blogartikel und Instagram-Beiträge zu schreiben. Doch wäre das wirklich so schlimm?
Die Antwort lautet ganz eindeutig nein.
Lebensaufgabe: Bedingungslose Selbstliebe
Davon abgesehen ist es völlig in Ordnung verunsichert und unwissend zu sein. Oder beruflich gesehen nicht auf der gleichen Sprosse der Karriereleiter wie andere. Lediglich mein tiefster, negativer Glaubenssatz – „Ich bin nicht ok“ – behauptete hartnäckig das Gegenteil.
Doch auch diesbezüglich rücken mich Bücher und Mentoren regelmäßig wieder gerade – erinnern mich daran, dass ich vielleicht nicht vollkommen bin, aber genug. Und zwar jetzt schon und nicht erst, wenn ich Summe x verdiene oder andere materielle/ berufliche Meilensteine erreiche.
Allerdings wird es wohl noch etwas dauern, bis ich mit diesem Thema endgültig durch bin. Denn abwertende, innere Gedanken sind eine meiner größten Baustellen.
Die Kinder-freie Zeit bis zur Arbeitserlaubnis für Wachstum nutzen
Aber eines ist glasklar: Ich will weiterhin Gutes und vor allem viel Liebe in die Welt bringen. Mit meinen Erfahrungen, meinem Wissen und dem ehrlichen Teilen meiner Gedanken und Hürden helfen. Ich will Menschen zusammenbringen. Allerdings nicht nur online, sondern gerne auch im realen Kontakt. Hier vor Ort. Und genau daran arbeite ich stetig weiter. Denn das geht auch erst mal ohne „work permit“.
Etwas, was mich 2019 magisch „gerufen“ hat, war Reiki. Das ist ein japanisches System der Heilung, was auf Achtsamkeits-/ Meditationsübungen und leichten Berührungen basiert. Meine Ausbildung ist zwar abgeschlossen und ich darf mich Reiki-Meisterin nennen, aber ich mag gerne noch tiefer gehen – mein Wissen und meine Praxis ausdehnen und hänge deswegen dieses Jahr noch ein paar Fortbildungen dran.
Davon abgesehen öffne ich mich neugierig jeder Gelegenheit, etwas dazu zu lernen. Und damit meine ich nicht nur die Podcasts, Hörbücher und Online Kurse, die ich mir so gerne reinpfeife, sondern das ganz banale Alltagsleben. Denn dieses konfrontiert mich regelmäßig mit „unangenehmen“ Situationen und Menschen – mit jeder Menge Chancen mich zu reflektieren, zu lernen und zu wachsen.
Vertrauen in den Prozess und den Weg genießen
Und genau so wird es hier bei uns weitergehen. Wir stemmen uns nicht gegen den Fluss des Lebens, sondern nehmen jegliche Veränderungen vertrauensvoll an: Riding the wave of change – wie die Amerikaner zu sagen pflegen.
Dabei kommen wir immer wieder an unsere Grenzen, mit unseren Köpfen manchmal ziemlich tief unter Wasser, aber wir gehen nicht unter. Weil wir einerseits gelernt haben unserem inneren Kompass – Was tut mir gut? – ganz stark zu folgen. Und weil wir mittlerweile richtig gut als Familienteam zusammenarbeiten. Unsere Köpfe immer wieder zusammenstecken, ehrlich unsere Gedanken auf den Tisch legen und gemeinsam die nächsten Schritte abstimmen.
Wir freuen uns alle, dass wir noch bleiben dürfen und sind wie immer gespannt, was die Reise noch so für uns bereithält!
Eure Kathrin