Könnte ich die Zeit bis zur Geburt unseres Mädchen zurück drehen (sie ist im Juni zwei Jahre alt geworden), würde ich einen großen Bogen um Pampers schlagen und die Windelfrei-Methode (auch TopFit genannt) probieren. Doch bis vor einigen Monaten hatte ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung, dass Babys auch windelfrei ins Leben starten können.
Wegwerfwindeln sind bequem, praktisch und so selbstverständlich, dass ich noch nicht einmal ansatzweise über eine Alternative nachdachte. Nur durch Zufall stolperte ich hier und da im Internet über Windelfrei-Artikel. Ich las beispielsweise regelmäßig die Windelfrei-Erfahrungsberichte-Serie von 123-windelfrei.de und war insgeheim begeistert von den vielen positiven Erfahrungen.
Das Umdenken
Wachgerüttelt hat mich diese Arte-Dokumentation über Wegwerfwindeln und die Umweltprobleme, die sie verursachen. Klar habe ich gewusst, dass sich Wegwerfwindeln nicht einfach in Luft auflösen. Die Fakten im Video haben die Schwere des Problems allerdings noch einmal auf beeindruckende Weise verdeutlicht.
Voller Überzeugung wollte ich sofort auf Stoffwindeln umstellen und erhielt ganz viele Tipps und Vorschläge von euch. Viel zu viele! Ich fühlte mich erschlagen von den scheinbar unendlichen Stoffwindel-Möglichkeiten. Außerdem war unser Mädchen zu dem Zeitpunkt schon 21 Monate alt und ich mir nicht sicher, ob sich die Anschaffung von teurem Stoffwindelequipment so spät noch lohnt. Also unternahm ich nix und machte weiter wie bisher. Zum einen aus Bequemlichkeit, zum anderen weil der Sommer bevorstand und ich ein Spätzünder-Windelfrei-Programm starten wollte.
Wie funktioniert die Windelfrei-Methode?
Durch Beobachtung und Kommunikation. Wer sein (windelfreies) Baby aufmerksam beobachtet, wird feststellen, dass es spürt wann es muss und dies durch bestimmte Signale zeigt. Die Zeichen können nicht nur von Baby zu Baby, sondern auch phasenweise beim selben Kind variieren und so bedarf es Geduld und Zeit bis Eltern lernen ihren Sprössling zu verstehen.
Wenn das Baby “muss“, wird es einfach (über eine Toilette/ eine Schüssel o.ä.) abgehalten. Da es nicht allen Eltern gelingt, die Ausscheidungssignale eindeutig als solche zu erkennen, ist es ratsam Babys zu regelmäßigen Zeiten (z.B. nach dem Aufstehen/ während des Stillens) abzuhalten und die Ausscheidung durch Signalwörter oder Geräusche zu unterstützen. Wer nachts oder unterwegs (z.B. bei längeren Autofahrten) auf Nummer sicher gehen will, kann natürlich (Stoff-)Windeln als Backup benutzen.
Die Vorteile von windelfrei liegen klar auf der Hand. Statt pausenlos in einer Windel und seinen Ausscheidungen zu stecken, darf das Baby unten ohne sein – eine wahre Wohltat für die empfindliche Babyhaut. Es kann sich so außerdem freier bewegen, seinen Körper besser wahrnehmen und muss sich später nicht umgewöhnen, wenn es die Windel plötzlich nicht mehr tragen soll.
Unser Windelfrei Spätstart
Unser Ziel war nicht, unser Mädchen so schnell wie möglich trocken zu bekommen. Mir war es wichtig, die Anzahl der Wegwerfwindeln zu reduzieren und ihr ein besseres Körpergefühl zu bescheren, denn permanent so einen Platiksack „untenrum“ zu tragen, ist sicherlich kein Vergnügen.
Seit Mai lassen wir sie vormittags immer mit nacktem Popo durch unsere Wohnung flitzen. Wir wohnen in einer Dachgeschosswohnung mit Dielen- und Fliesenfussböden, die sich gut reinigen lassen und wir haben in der warmen Jahreszeit mindestens 23 Grad Zimmertemperatur, also ideale Vorraussetzungen.
In den ersten Wochen hatte unser Mädchen einen Unfall nach dem anderen und „markierte“ so die ganze Wohnung. Während sie sehr heftig dabei erschrak, mussten wir uns das Lachen ziemlich verkneifen. Ihr Entsetzen war einfach zu drollig. Wir versuchten sie zu beruhigen indem wir ihr jedes Mal erklärten, was das war und dass es aus ihr herauskam. Thomas und ich waren nie genervt oder verärgert, wenn etwas daneben ging. Im Gegenteil, wir sahen das recht gelassen und doch zeigten wir ihr in diesen Situationen ihr Töpfchen – als Alternative zum „Auf-den-Boden-Pullern“.
Ich hatte bereits Anfang des Jahres ein Töpfchen gekauft, aber es gewann erst in der Windelfrei-Phase an Bedeutung. Das Ausziehen (Hose runter, Body auf, Windel aus) war vorher so umständlich, dass unser Mädchen fast nie Lust darauf hatte. Als wir die Windeln wegließen, stieg ihre Begeisterung für „ihre Toilette“. Ich stellte das Töpfchen zunächst im Wohnzimmer auf (damit der Weg nicht so weit ist), nach kurzer Zeit zog es allerdings in unser Badezimmer um – so konnten wir gemeinsam Pipi machen, denn Kinder lernen ja auch bei diesen Dingen durch Nachahmung.
Ich hatte übrigens eins mit Melodie besorgt, im Glauben ein „Tusch“ würde sie anspornen. Doch sie erschreckte sich so sehr, dass wir den schrillen Trompetenton lieber abstellten.
Der Fortschritt
Sehr zügig (innerhalb von 2-3 Wochen) hatte unser Mädchen ein Gespür für ihre Ausscheidungen entwickelt und verstanden wofür das Töpfchen da war. Die Unfallgefahr nahm somit rapide ab. Seit ihrem 2. Geburtstag geht sie ganz gezielt auf ihre Toilette und sagt klar und deutlich „pullert“ bzw. „kackt“. Ich bin verblüfft wie schnell das ging.
Ohne Hose geht es besser
Windelfrei funktioniert bei uns interessanterweise am besten, wenn unser Mädchen unten herum ganz nackig ist. Sobald sie auch nur ein Unterhöschen trägt – egal wie dünn – geht öfter etwas in die Hose. Wahrscheinlich vermittelt ihr Stoff schlagartig ein Sicherheitsgefühl, ähnlich wie bei einer Pampers.
Ist es warm genug, bleibt sie deshalb nackig. Außerdem fühlt sie sich so am wohlsten. Für kühlere Tage habe ich ihr mehrere günstige Baumwoll-Unterhosen und Leggings gekauft, die wir problemlos waschen können, wenn etwas daneben geht. So bekommt sie keinen kalten Popo und ich gerate nicht ins Schwitzen aus Angst sie könnte sich ihre beste Hose „ruinieren“.
Windelfrei auswärts
Obwohl windelfrei zu Hause prima klappt, ist die Unfallgefahr außerhalb der eigenen vier Wände recht hoch. Da ist zum einen das Problem mit der Hose – die kann ich auf der Straße nur selten weg lassen. Dann ist es sicher eine Frage der Gewohnheit, d.h. unser Mädchen musste ja bislang draußen nicht auf ihre Ausscheidungen achten. Außerdem habe ich das Gefühl die Ablenkung durch andere Menschen, belebte Straßen usw. ist zu groß. Sie achtet draußen auf alles mögliche nur nicht auf sich selbst.
Ich wäge die Situationen dementsprechend ab: Im Garten bei Freunden bleibe ich weiterhin experimentierfreudig, beim Sonntagsessen im Restaurant mit Oma & Opa lege ich ihr lieber eine Windel an. Optimal sind übrigens Ausflüge an warmen Tagen ins Grüne und zwar nur mit ihr allein. Im Wald ist sie erstens nicht so abgelenkt und zweitens ziehe ihr dann ein längeres Kleid ohne Unterhose an, so dass sie sich besser spürt. Auf diese Weise sagt sie mir auch an der frischen Luft, wenn sie muss.
Windelfreier Schlaf
Vor einigen Tagen las ich diesen Post von „Einfach-Klein“ bei Facebook: „Wenn die Eltern doch bloß wüssten, dass Babys nicht im Schlaf machen, sondern meist kurz nach dem Aufwachen, es wäre doch ein leichtes, ein Kind ohne Windeln schlafen zu lassen, damit es nicht noch mehr schwitzt bei der Hitze…“
Nun, ich wusste das auch nicht und war sehr dankbar für diese Info. Mittagsschlaf ohne Windel? Das war definitiv einen Versuch wert.
Ich lege unser Mädchen nun seit fast zwei Wochen mittags mit nacktem Popo ins Bett. Die Matratze hatte ich sicherheitshalber mit einer Auflage präpariert, aber das hätte ich mir sparen können. Sie wacht nach ihrem Schläfchen (ca. 1-2 Stunden) trocken auf und trinkt wie immer an der Brust. Erst ca. eine halbe Stunde nach dem Aufstehen ruft sie „pullert“ und wir sprinten zur Toilette. Sensationell!
Die Windel in der Nacht werde ich noch eine Weile beibehalten, da ich – wenn unser Mädchen mich mitten in der Nacht zum Stillen weckt – nicht immer so zurechnungsfähig bin, dass ich ihr immer zuverlässig den Topf anbieten könnte. Ich döse meist sofort wieder weg und habe zur Zeit, ehrlich gesagt, auch keine Lust aufzustehen, wenn sie muss. Wer das aber gerne probieren möchte, findet hier gute Anregungen: „Windelfrei nachts – so geht’s“.
Windelfrei ist nichts für schwache Nerven
Windelfrei ist wie Baby-led Weaning nur geeignet für Eltern, die frei von Erwartungen sind, kleine Sauereien gut aushalten und ihr Kind einfach machen lassen können.
Wer sich konkrete Ziele und sein Kind unter (Zeit-)Druck setzt, wird allen Beteiligten den Spaß an der Sache nehmen.
Es ist wichtig, dass Kinder mit Freude und in aller Ruhe ihren Körper und dessen Fähigkeiten bzw. Funktionen kennen lernen dürfen. Werden sie in ihrer individuellen Entwicklung liebevoll begleitet und unterstützt, erlernen sie früher oder später ganz von alleine selbstständiges laufen, essen, schlafen oder eben auch „Pipi machen“.
Stress (z.B. durch schimpfen oder ermahnen) wirkt sich bei all diesen Fähigkeiten negativ aus. Wird ein Kind dazu gezwungen etwas zu lernen, wofür es noch nicht bereit ist, kann dass zu einer Verzögerung dieser natürlichen, kindlichen Entwicklungsschritte führen. Es ist beispielsweise nahezu unmöglich ein Kind zum Ausscheiden zu zwingen (entweder es muss oder es muss nicht). Zwang kann aber im schlimmsten Fall einen „Töpfchen-Streik“ verursachen und dann das Sauberwerden unnötig in die Länge ziehen.
Mein Fazit
Ich bin wieder einmal sehr dankbar für die wertvollen Informationen aus dem Internet und finde es großartig, unser Mädchen nun zumindest zu Hause immer windelfrei zu sehen.
Die Trefferquote bzw. das Sauberwerden stand für uns nicht im Vordergrund, umso überraschter sind wir in welch kurzer Zeit sie gelernt hat, ihre Ausscheidungen wahrzunehmen und anzusagen. Das Weglassen der Windeln hat ihre Aufmerksamkeit stark nach „unten“ gelenkt und somit den Gang zur Toilette beschleunigt. Ich bin mehr als überzeugt!
Nun schaue ich einfach, was in den nächsten Wochen passiert. Vielleicht gibt es Rückschläge oder sie verliert die Lust am Töpfchen. Vielleicht hält sie durch, aber es wird im Herbst zu kühl für einen nackten Po. Wer weiß. Ich bin jedenfalls gespannt wie es weitergeht und werde euch natürlich davon berichten.
Hier ein paar Links:
9Monate: allgemeine Infos zu „Windelfrei“
Sein.de: „Babys ohne Windeln – wie geht das?“
TopFit: „TopFit unterwegs“
TopFit: „Entstehen durch TopFit keine psychischen Schäden amKind?“
TopFit: „TopFit im Vergleich zum allgemein üblichen Töpfchentraining“