Gurkenscheiben beleben nicht nur meine müden Augen, auch unser Mädchen steht auf Schönheitsmasken:
Sie findet Obst und Gemüse auf der Haut spannend! Bei ihren Experimenten mit Essbarem wird gelegentlich auch ihr komplettes Umfeld in Mitleidenschaft gezogen. In solchen Momenten schießt mir insbesondere eine Erziehungsformel durch den Kopf: „Mit Essen spielt man nicht!“. Aber warum eigentlich nicht?
Kinder entdecken ihre Welt mit allen Sinnen – so auch das Essen. Woher soll also ein wenige Monate junges Baby wissen, dass Gurke Nahrung und kein Spielzeug ist? Kinder müssen Essen riechen, schmecken, anfassen – sie müssen BEGREIFEN, dass Lebensmittel sich von Gegenständen unterscheiden. Nicht nur geschmacklich! Alles fühlt sich unterschiedlich an: Eine gekochte Kartoffel z.B. kann man mühelos mit den Fingern zerdrücken, bei einer Honigmelone dagegen bedarf es eines größeren Kraftaufwandes. Erst mit der Zeit wird klar, was essbar ist und dass Bauklötze beispielsweise auch durch sehr ausführliches Anknabbern und Besabbern nicht schmackhaft werden.
Inhalt
Essen: Lust oder Frust?
Es gibt Babys, die passive Nahrungsaufnahme genießen und gerne in regelmäßigen Abständen große Mengen Brei verputzen. Mir ist jedoch aufgefallen, dass viele Sprösslinge (in meinen Augen viel zu früh) gedrängt werden, von Muttermilch oder Flaschennahrung auf Brei umzustellen. Dabei entsteht nicht selten ein Machtkampf, der sich in angewiderte Gesichtern und sich wegdrehende Köpfchen bzw. in verzweifelten und besorgten Muttermienen widerspiegelt. Ein unnötiges Szenario, bei dem es oft nicht mehr nur um Ernährung geht. Essen sollte doch verbinden, nicht die Gemüter spalten!
Crashprogramm Beikost
Wir erwarten von unseren Babys binnen weniger Wochen auf ihre gewohnte Milch zu verzichten, sich auf neue Geschmäcker einzulassen UND sich an feste Nahrung zu gewöhnen. Wir erwarten eine komplette Umstellung. Herbert Renz-Polster bezeichnet diesen Wahnsinn – das simultane Beifüttern und Abstillen in Rekordzeit – treffend als „Crash-Programm“.[1] Selten wird geschaut, ob die Kleinen tatsächlich schon so weit sind. Das individuelle Tempo und die Fähigkeiten werden kaum berücksichtigt. Doch wenn wir das Augenmerk nur einen Moment von den allgemein gültigen Vorstellungen auf unsere Kinder lenken, wird eines klar: 700.000 jährlich geborene Babys können unmöglich nach einem Schema abgefertigt werden! Sind Eltern dennoch nur auf Disziplin und Sauberkeit fokussiert, ist es doch kein Wunder, dass manchem Baby der Appetit vergeht…
Aus Spiel wird Essen
Anstatt Kinder zum Essen zu zwingen oder sie mit Fliegerspielen oder ähnlichem zu überlisten noch „ein Löffelchen für Omi“ zu futtern, kann die natürliche Neugier der Kinder genutzt werden, indem man ihnen zwanglos verschiedene Lebensmittel anbietet. Babys nehmen von Natur aus alles mit Begeisterung in die Hand und nach kürzester Zeit in den Mund. Auf diese Weise können sie lernen, dass die angebotenen „Spielsachen“ mitunter recht lecker schmecken: Sie lernen spielerisch das Essen. So wird Nahrungsaufnahme mit positiven Gefühlen verknüpft, eine wichtige Basis für gemeinsame Mahlzeiten und ganz nebenbei werden Feinmotorik und Hand-Mund-Koordination trainiert, eine bedeutende Voraussetzung für die Sprech- und Sprachentwicklung.
Wer keinen Spaß versteht, hat ein ernstes Problem[2]
Wenn wir unseren Kindern verweigern Speisen in die Hand zu nehmen, stoppen wir womöglich ihren Forscherdrang und nehmen ihnen somit die Freude am Essen. Wird zudem Zwang oder Druck ausgeübt, indem Kinder z.B. eine bestimmte Menge essen müssen, kann es im schlimmsten Fall zur Essensverweigerung kommen.[3] Kindern das Spiel mit dem Essen zu gestatten oder anders ausgedrückt, sie aktiv ins Geschehen einzubinden (Stichwort Baby lead weaning) hat auch aus medizinischer Sicht einen Vorteil: Sie neigen weniger zu Übergewicht als Babys, die brav ihr Fläschchen leer trinken müssen und Brei über ihr Sättigungsgefühl hinaus „eingelöffelt“ bekommen. Wer dennoch darauf beharrt, seine Kinder nur zuschauen zu lassen, muss damit rechnen, dass sie auch später, wenn sie sollen, kein Interesse zeigen selbstständig zu essen, weil es so bequem ist, gefüttert zu werden.[4]
Die meisten Kinder akzeptieren eine Mischform – sie lassen sich füttern, wenn sie beispielsweise selbst einen Löffel in der Hand halten und „mitschaufeln“ dürfen. Oft habe ich unserem Mädchen auch ein Stück Gemüse, z.B. Tomate angeboten, während ich ihr half, Nudeln mit Tomatensauce zu löffeln. Kinder verweigern nicht grundsätzlich das „Gefüttert werden“, möchten uns allerdings in jeder Lebenslage nachahmen – und das geht beim Essen natürlich nur mit Besteck in der Hand!
Genug gespielt!
Damit es nicht zu ausufernden Küchenschlachten kommt, unser Mädchen nicht die weißen Wände bespritzt oder das Mobiliar mariniert, grenze ich das Spektakel gelegentlich ein. Es wird schnell ersichtlich, ob das Experimentieren mit den Lebensmitteln noch der Nahrungsaufnahme dient oder ob aus purer Langeweile ein Spiel daraus wird. Denn wenn sie satt ist, landen nach und nach alle Essensreste auf dem Boden oder noch besser in ihren Haaren, so dass ich versuche bereits vorher die Mahlzeit zu beenden. Phasenweise hat sie das Bedürfnis, ihren vollen Trinkbecher oder die Müslischüssel über sich zu entleeren, was ich, wenn ich schnell genug bin, zu verhindern weiß. Im schlimmsten Fall verliere ich die Küchenschlacht, aber mit Wischmop und Eimer wird aus Kriegsschauplatz schnell wieder eine begehbare Küche!