Als meine Tochter ein kleines Baby war, machte ich etwas mit ihr.
Etwas, was zu diesem Zeitpunkt kein großes Problem für mich darstellte.
Etwas, was mit mir passierte, als ich ein Baby war und was ich mit zunehmendem Alter mochte.
Etwas, was die meisten Frauen in unserem Land irgendwann in ihrem Leben bekommen.
Etwas, was sie mädchenhafter aussehen ließ
(da dies niemals mit männlichen Babys gemacht wird).
Etwas, was mit geringem Risiko verbunden ist, wie man mir sagte.
Etwas, was leicht sauber zu halten war (wahrscheinlich genau so leicht, als hätte ich sie so gelassen wie sie war).
Etwas, was völlig unnötig war.
Etwas, was schmerzvoll war und zu einer Zeit gemacht wurde, in der sie sich nicht an den Schmerz erinnern würde.
Etwas, von dem ich dachte es sei für sie, aber dann stellte sich heraus… dass dieses Etwas für mich war.
Ich habe ihr Ohrlöcher stechen lassen.
Sie weinte.
Nicht lang, aber es war offensichtlich schmerzhaft.
Es war nicht anstrengend, sie sauber zu halten, aber ich musste ihre Ohren pflegen wie nie zuvor.
Dann bemerkten wir, dass einer der beiden Ohrringe nicht richtig hineingesteckt wurde. Und so nahmen wir ihn raus… und ließen das Loch noch einmal durchstechen.
Sie weinte wieder.
Oh mein süßes Baby, ich würde es sofort rückgängig machen, wenn ich könnte.
Ich überlegte, die Ohrringe heraus zu nehmen.
(Glücklicherweise kannst Du sie selbst heraus nehmen, wenn Du älter bist.)
Aber Du wirst immer eine kleine Narbe haben, dort wo ich sie in deinen perfekt geformten Körper stechen ließ.
Das waren nicht meine Ohren, die durchstochen wurden.
Es tut mir so, so leid, dass ich dich nicht beschützte, sondern dich verletzte – für eine kulturelle Tradition.
Was habe ich mir nur dabei gedacht?
Oder besser, warum habe ich nicht nachgedacht?
Warum dachte ich weniger über diese Veränderung deines Körpers nach, als darüber welchen Babysitz ich wählen soll.
Warum hörte ich nicht auf die Leute, die mir sagten, dass es nicht notwendig ist? Warum rief nicht irgendjemand: „Das sind nicht deine Ohren!“
Du warst so perfekt wie Du warst und brauchtest keinerlei Veränderung. Vielleicht nimmst Du mir diese Entscheidung, Deinen Körper so zu verändern, ja eines Tages übel…
Warum war ich nicht mutig genug eine Entscheidung zu treffen, die sich von dem unterschied, was mir angetan wurde?
Diese hübschen Steine sind doch nicht hübscher als Deine weichen, unbeschädigten Ohren es waren. Sie starren mich jeden Tag, den ich mit Dir verbringe, an – wie eine klaffende Erinnerung an meine erste Reue.
Sie fangen das Licht ein.
Sie blenden mich.
Und ich begreife, dass ich von Beginn an nicht klar sah…
Ich bin in meinem Fehler verwundbar, also bitte zeige Erbarmen.
Ich bin so dankbar, dass meine Entscheidung nicht zu Schlimmerem führte, und dass sie verhältnismäßig klein ist – in dem großen System der Dinge.
Eines Tages werde ich offen und ehrlich mit Dir darüber reden.
Wahrscheinlich habe ich Dich dazu gebracht, diesen Text zu lesen.
Ich habe mir selbst vergeben und werde das niemals einem meiner anderen Kinder antun.
Noch eine Bitte
Da ich neulich erst selbst anschauen musste, wie einem schreinenden Baby die Ohrlöcher durchstochen wurden, möchte ich euch bitten, diese Petition gegen das Ohrlochstechen/ Ohrlochschießen bei Kindern zu unterzeichnen (Link entfernt, denn die Petition lief nur bis zum 27.07.2015).„Das Ohrlochstechen insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern stellt eine Körperverletzung ohne medizinische Indikation gegen den Willen des Kindes dar. Hierbei werden den Kindern ohne Betäubung die Ohrläppchen durchstochen oder durchschossen, damit diese Ohrringe tragen können. Medizinisch gesehen entspricht das Stechen oder Durchschießen eines Ohrloches einem Piercing und es werden dem Kind ohne ersichtlichen Grund Schmerzen zugefügt.“
Vielen Dank
Eure Kathrin