ALLEINE! Oder: Hilf mir es selbst zu tun!

Kathrin Familienleben 1 Kommentar

„ALLEINE!“ ist das aktuelle Lieblingswort des Buben (2 Jahre). Ich bekomme es zu hören, wenn ich ihm Zahnpasta auf die Bürste streichen, seine Schuhe zubinden oder ihn in seinem Autositz anschnallen will. Auch wenn ich versuche die Haustür mit dem Schlüssel zu öffnen, das Gemüse für das Mittagessen zu schnibbeln oder einen Nagel in die Wand zu schlagen – egal, was ich in seinem Beisein tue, er will es auch und zwar ganz und gar ALLEINE.

Es ist noch nicht allzu lange her, dass das Mädchen in dieser Phase steckte und weil ich sie oft geduldig beim Ausprobieren verschiedenster Dinge begleitete, gestehe ich das Nestling Nr. 2 ebenfalls zu.

Meine Erfahrung ist nämlich, dass sich das Zusammenleben mit den Rackern wesentlich entspannter gestaltet, wenn sie sich regelmäßig ihrem eigenen „Flow“ hingeben und ihrer Neugier nachgehen dürfen. Scheuche ich den Bub beispielsweise in zehn Minuten aus dem Haus und zum Supermarkt (inklusive Anziehen), weil ich unbedingt meinen Zeitplan erfüllen möchte, ernte ich Tränen und Protest. Plane ich dagegen ausreichend Zeit für seine „Alleingänge“ ein, damit er unterwegs 400 Steine umdrehen, 37 Gehwegritzen auspuhlen und die gesamte Nachbarschaft persönlich grüßen seine Wunschrichtung einschlagen kann, kommen wir zwar langsamer, aber mit einem wesentlich besseren Gefühl zum Ziel.

Das Gleiche gilt für die Tätigkeiten im und am Haus. Der Bub liebt es „Krach“ zu machen (Küchenmaschinen zu bedienen) und generell mir im Haushalt zu helfen. Wenn ich unter Zeitdruck stehe, rolle ich innerlich die Augen: „Ich will doch nur einmal in Ruhe…!“ Aber dann sehe ich die Freude in seinem Gesicht, wenn er Champignons selber zerdrückt schneidet oder meinen Dreckhaufen mit seinem Besen wieder in der ganzen Küche verteilt den Boden „alleine“ fegt und gebe nach. Denn alles, was er möchte, ist ein Teil der Familie zu sein. So zu sein und zu agieren wie wir Großen.

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Mein kleiner Küchenhelfer bei der Arbeit am Herd: Er darf schnibbeln, umrühren und natürlich verkosten.

Hilf mir es selbst zu tun

Eigentlich ist es ein guter Schachzug der Kleinen, dass sie uns regelmäßig ein „“Selbermachen!“, „Nein!“ oder „Alleine!“ entgegnen und sich auf diese Weise ihren Weg in die Selbstständigkeit erkämpfen. Dass sie ihre Freiräume einfordern, in dem sie uns klar und deutlich signalisieren, dass sie bereit sind für die nächsten Entwicklungsschritte. Ich wäre jedenfalls nicht von selbst darauf gekommen, dass ein 2-jähriges Kind schon alleine Eier aufschlagen oder den Geschirrspüler anstellen kann.

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Unser Mädchen mit 2,5 Jahren beim Eieraufschlagen. Damit versetzte sie so manchen Besucher ins Staunen…

Die Schattenseite dieses Tatendranges ist jedoch, dass wir Eltern in unserem „Erwachsenen-Flow“ zumindest streckenweise extrem ausgebremst werden. Kinder, die alles alleine machen wollen, aber noch lange nicht alles alleine machen können, verlangen eine große Portion Geduld und Verständnis von uns ab. Wie verführerisch ist es doch, dem kleinen Nestling beim Anziehen zu helfen oder ihn aus der Küche zu verbannen, weil meine großen Hände geschickter und schneller sind, als seine kleinen. Doch damit spare ich heute vielleicht etwas Zeit und Nerven, langfristig gesehen stehe ich so aber seiner Entwicklung zur Selbstständigkeit gehörig im Wege.

Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen.Montessori

Alleine: Kleines Wort mit großer Bedeutung

Wenn ich mir die Mühe mache, meinen kleinen Nestling bei seinen Alleingängen genauer zu beobachten, stelle ich fest, dass sein „Alleine!“ nur ein Ausdruck für etwas viel Komplexeres ist. Ihm fehlen die sprachlichen Mittel sich umfassend auszudrücken, doch bei diesem kleinen Wörtchen spüre ich deutlich seine Haltung, die sich je nach Situation in etwa so übersetzen lässt:

  • Ich habe das Bedürfnis, Dinge selbst zu machen.
  • Ich will herausfinden, ob ich das alleine schaffe.
  • Ich will, dass Du mich (los) lässt.
  • Ich will mich weiterentwickeln.
  • Ich will die Welt auf eigene Faust erforschen, um sie zu verstehen.
  • Ich will meine Kräfte erfahren.
  • Ich will mitbestimmen.
  • Ich will auch mal nein sagen dürfen.
  • Ich will Dir zeigen, dass ich nützlich bin.
  • Ich will wissen wie Du reagierst.

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Alleine oder nicht alleine? Eine Frage von Kompromissen

Dass der Bub große Freude daran hat, wenn ich ihn öfter einfach machen lasse und dadurch in seinen Fähigkeiten über sich hinaus wächst, steht außer Frage. Das kollidiert jedoch im Alltag regelmäßig mit den Bedürfnissen der anderen Familienmitglieder. Manchmal muss ich so dringend auf Klo, um ein banales Beispiel zu nennen, dass ich ihn nicht noch eine halbe Stunde lang hinterm Steuer spielen lassen kann, was er so gerne im Auto macht, wenn wir von Ausflügen heimkehren. In solchen Situationen bin ich gezwungen sein „Alleine!“ zu ignorieren oder ihm Alternativen anzubieten, um ihn von seinem eigentlichen Wunsch abzulenken). Das finde ich aber auch okay und wichtig, da er schließlich ein Teil der Gemeinschaft sein möchte, was eben auch bedeutet auf die Bedürfnisse aller Rücksicht zu nehmen.

Deswegen handhabe ich es so, dass er in den Situationen, in denen wir genügend Zeit haben (meist vormittags, wenn die Große in der Kita ist), bestimmen darf, was wir wann und wo machen. Dann fahren wir zum Beispiel mit dem Rad durch die Weltgeschichte und er gibt bei jeder Weggabelung, von seinem Sitz am Lenker aus, die Richtung an. Oder wir kuscheln Ewigkeiten im Bett und lesen dabei vierundzwanzig Mal dasselbe Bilderbuch. Oder ich warte zwei Stunden, bis er sich entscheidet die zweite Socke freiwillig anzuziehen…

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Auf meinem Rad befindet sich immer noch der Römer Kindersitz, den ich 2012 für das Mädchen gekauft habe, aber der Bub fährt meist lieber auf dem Rad von Thomas, weil er da in der ersten Reihe sitzen darf 😉

Dadurch erfährt er, dass er mitmachen und mitbestimmen darf, dass er die Möglichkeit hat nein zu sagen und dass ich ihn gerne (sofern seine Gesundheit dadurch nicht in Gefahr ist) seine eigenen Erfahrungen sammeln lasse. Dafür hält sich sein Protest in Grenzen, wenn es mal schnell gehen muss oder mein Plan nicht seinen Vorstellungen entspricht.

Kann ich Dir helfen?

Etwas alleine machen zu dürfen, kann aber auch zu riesigem Frust führen, vor allem wenn die Kleinen zu der von ihnen gewählten Aufgabe noch gar nicht in der Lage sind. Der Bub möchte beispielsweise zu gerne seine Jacke selber zu machen, aber verzweifelt täglich am Reißverschluss. Ich gewähre ihm immer einige Versuche, denn eines Tages wird er es tatsächlich alleine schaffen. Aber wenn ich merke, dass er ungeduldig wird, frage ich ihn unaufdringlich, ob ich ihm helfen kann. Besteht er auf „Alleine!“, ziehe ich mich zurück, doch meist entgegnet er „Helfen!“. Dann gebe ich ihm eine kleine Hilfestellung, in dem Fall fädle ich den Reißverschluss ein, damit er den Rest (bis oben hochziehen) alleine machen kann.

Schlussgedanke

Bei unseren Nestlingen spüre ich deutlich das tiefe, natürliche Bedürfnis der Kinder unabhängig und selbstständig zu werden. Dieser Drang sich loszueisen ist enorm wichtig, weswegen ich versuche, sie liebe- und verständnisvoll zu begleiten. Mehr muss ich eigentlich auch nicht tun – nur da sein und schauen, dass sie sich bei ihren Alleingängen nicht in Gefahr begeben und ihnen täglich genügend Zeit zum Ausprobieren einräumen.

Letzteres fällt mir an besonders wuseligen Tagen zugegebenermaßen schwer und dann bin ich dankbar, wenn Thomas die beiden mit Büchern oder Spielen ablenkt, damit ich ungestört meine (niemals endende) To-Do-Liste abarbeiten kann. Nicht nur weil es ohne meine kleinen Helferlein wesentlich flotter geht, sondern auch weil ich es ebenfalls genieße zumindest ab und zu mal etwas alleine zu machen 😉

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