Ich bin total gespannt, was unser Mädchen später über ihre Stillzeit erzählen wird. Ob sie sich vielleicht an einige schöne Momente erinnert und wenn ja, an welche. Ob sie das Ende unserer Stillbeziehung mit dem dramatischen Entzug kurz nach der Geburt des Buben in Verbindung bringt (da war sie 3,5 Jahre) oder mit unserem friedlichen und endgültigen Schlusspunkt an ihrem vierten Geburtstag. Wird sie sich überhaupt daran erinnern können?
Kein selbstbestimmtes Abstillen
Das biologische Abstillalter liegt, laut verschiedenen Berechnungen der amerikanischen Anthropologin Katherine Dettwyler, bei mindestens 2,3 Jahren bis maximal 6 – 7 Jahren. Und als ich allmählich in das „Langzeitstillen“ hineinschlitterte (das war nichts, was ich so geplant hatte), formte sich der Wunsch in mir, dass sich das Mädchen zu einem Zeitpunkt abstillt, der auch mir passend erscheint. Doch während ich nach über 3 Jahren – während der zweiten Schwangerschaft und mit der Geburt des Buben – immer stärker ans Abstillen dachte, forderte sie mehr und mehr:
„Vorgestern wollte sie gefühlte 100 Mal stillen, obwohl sie tagsüber gar nicht mehr danach verlangt hat. Am Nachmittag wollte ich dann nicht mehr, ich hatte schlichtweg keine Lust (war hundemüde) – ich bot ihr kuscheln und Buch lesen an und daraufhin rastete sie total aus. Ganz übel, wirklich…“
(Auszug aus einer E-Mail vom Dezember 2014 an meine Freundin)
Stillen nach Bedarf verschiedenen Bedürfnissen
Ich hatte das Mädchen jahrelang nach ihrem Bedarf gestillt, doch mit der Geburt von Nestling Nr. 2 galt es den dringenden (dringenderen) Bedürfnissen des Neugeborenen nachzukommen, aber auch mehr auf meine eigenen zu hören. Denn leider verdoppelten sich meine Kraft und Ausdauer nicht, nur weil ich Mutter von zwei Kindern war. Ich führte anfangs eine „Vollzeit-Tandem-Stillbeziehung„, doch dann reduzierte ich ihre nächtlichen Stilleinheiten im Dezember 2014 drastisch, was zu einem tagelangen und für uns beide sehr schmerzhaften „Abstillkampf“ führte (siehe „Erfahrungsbericht: Abstillen beim Kleinkind„).
Abstillen? Abgemacht!
Aber ich konnte und wollte nicht mehr zwei Kinder rund um die Uhr mit meiner Milch versorgen und so stillte ich sie von Dezember an nur noch abends zum Einschlafen und morgens nach dem Aufwachen. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht sie komplett abzustillen; außerdem wollte ich nicht, dass sie das Abstillen mit der Ankunft des Buben verknüpft. Und so führte ich zunächst unsere Mini-Stillbeziehung weiter.
Anfangs genoss ich unsere kuscheligen Stilltreffen, doch nach einiger Zeit änderte sich mein Empfinden. Ich wurde zunehmend ungeduldiger, wenn sie beim Stillen meine Haare zwirbelte und sie kam mir plötzlich so fordernd („ICH WILL JETZT TRINKEN“) vor. Außerdem ertappte ich mich immer häufiger dabei, wie ich sie vorzeitig abdockte und ihr stattdessen den Rücken kitzelte oder einfach mit ihr schmuste. Dann fühlte sie sich um ihre Stillzeit betrogen und schmollte, was mich wiederrum verärgerte, weil ich nicht nur auf meine Brüste reduziert werden wollte…
Und so wuchs mein Wunsch, unsere Stillbeziehung ganz zu beenden von Tag zu Tag. Ich wollte sie nicht mit meiner Entscheidung überfallen – denn noch ein Stilltrauma wollte ich ihr ersparen – und so entschied ich mich nach einigen Überlegungen, sie noch bis zu ihrem vierten Geburtstag (im Juni 2015) zu stillen. Gleichzeitig sagte ich ihr bei jeder Stilleinheit, dass sie noch stillen darf, solange sie drei Jahre alt ist. Aber nicht mehr, wenn sie vier wird. Ich erklärte ihr, dass sie dann mein großes Mädchen ist und wir abends nur noch gemeinsam kuscheln.
Die Wochen vergingen und ich bereitete sie mental auf den Abschied vor. Sie nickte immer kichernd, aber ich hatte großen Bammel, dass sie mich nicht richtig versteht. Oder dass sie mich versteht, aber mich nicht Ernst nimmt. Oder dass die Situation trotzdem eskaliert – so wie bei der nächtlichen Abstillphase im Dezember.
Je näher der vierte Geburtstag rückte, desto aufgeregter wurde ich. Zehn Tage vorher startete ich einen Countdown, den ich ihr mit meinen Fingern visualisierte. Ich freute mich auf das Ende – ich hatte wirklich genug, vor allem weil der Bub nicht gerade zu den bescheidenen Stillbabys gehört und er sich mit einem halben Jahr schon beachtliche 10 Kilogramm auf seine Rippen gesaugt hatte. Gleichzeitig wünschte ich mir von ganzem Herzen, dass es dieses Mal friedlicher verläuft und ich ihr damit nicht den vierten Geburtstag ruiniere. Ich hatte riesige Bedenken…
Das letzte Mal
Am Abend vor ihrem Geburtstag stillte ich sie das letzte Mal in den Schlaf. Ich war super sentimental und hielt sie noch ganz lange fest, obwohl sie bereits nach wenigen Minuten eingeschlafen war. Nach vier Jahren ganz bewusst das letzte Mal zu stillen, fühlte sich seltsam an. Ich war traurig und weinte.
Es ist vorbei…
Früh am Geburtstagsmorgen wollte sie nichts trinken, weil der Fokus auf den Geschenken lag. Aber am Abend fragte sie danach. Als ich sagte, dass wir doch nur noch kuscheln, weil sie jetzt vier ist, reagierte sie traurig. Sie wollte unbedingt stillen und weinte. Allerdings nur sehr kurz und sie ließ sich zum Glück schnell beruhigen. Zu meiner Überraschung schlief sie nach wenigen Minuten eingekuschelt in meine Arme ein und ich war ungemein erleichtert.
Am nächsten Abend wiederholte sich das Ganze, jedoch ohne Tränen. Sie fragte danach, aber akzeptierte mein nein. Einfach so. Ich atmete durch – auch an den darauffolgenden Abenden, weil die Eskalation bzw. der Rückschlag, auf den ich wartete, ausblieb.
Als sie nach circa zwei Wochen noch nicht einmal mehr danach fragte und keinerlei negative Reaktionen zeigte – auch nicht, wenn ich den Bub in ihrer Gegenwart stillte – wusste ich, dass wir es geschafft hatten. Unsere Stillbeziehung war aus und vorbei. Zwar endete das Ganze nicht 100% ig mit ihrem Einverständnis, aber immerhin ruhig und ohne wilde Proteste.
Das Mädchen lehrt(e) mich stark zu sein
Der fiese Abstillkampf vom Dezember nagte übrigens lange Zeit an mir, denn ich hatte unser Mädchen so gerne und so lange gerne gestillt, dass ich mit dieser heftigen Auseinandersetzung emotional nicht gut klar kam. Lange fragte ich mich, ob es einfacher gewesen wäre, sie eher abzustillen. Oder ob noch etwas mehr Zeit vielleicht geholfen hätte. Wobei ich echt nicht mehr konnte… Zweifel plagten mich und ich fühlte mich miserabel.
Dann schrieb mir eine Freundin folgendes:
„Wie ich aus deinen Artikeln herauslesen kann, hat deine Tochter einen starken Charakter und kann sehr gut differenzieren, was sie will und was nicht. Das ist total wichtig und gut in der heutigen Zeit, aber du darfst ihr gegenüber ruhig auch genauso stark und fest sein. Das braucht sie und wird immer wieder testen, ob du schwankst und deine Meinung änderst oder nicht. Egal bei welchen Themen – sie ist das Geschenk, an dem du deine Stärke entwickeln kannst.“
Und sie hat Recht. Unser Mädchen ist eine willensstarke Kämpferin, die sich mit ganzem Körpereinsatz für ihre Wünsche einsetzt. Ich dagegen muss oft zunächst herausfinden, was ich überhaupt will. Allein bei der Frage, ob ich sie noch stillen will oder nicht, brauchte ich einige Wochen bis ich eine klare Antwort für mich fand.
Vielleicht hätte ich es anders machen und ihr Schmerzen ersparen können. Vielleicht hätte sie aber auch zu einem anderen Zeitpunkt so heftig um ihren Platz an meiner Brust gekämpft, einfach weil sie ein starker Kämpfer ist. Wer weiß. Ich weiß nur, dass sich meine Abstill-Entscheidungen für mich richtig anfühlten und weil es müßig ist, sich über ein „Was wäre wenn…“ den Kopf zu zerbrechen, schloss ich schließlich Frieden mit dem was war; und doch bin ich gespannt, ob und an was sich unser Mädchen erinnern kann.