Dafür schicke ich ihr aus tiefstem Herzen ein dickes Dankeschön!
Und Euch wünsche ich viel Spaß beim Lesen und Umsetzen!
Eure Kathrin
Manchmal stecken die Nestlinge ihre Köpfe stundenlang zusammen und spielen friedlich, dann wieder streiten sie sich wie die Kesselflicker. „Warum muss das jetzt schon wieder sein?“ schießt es mir dann durch den Kopf. Ja warum?
Das habe ich mich am Anfang der Recherche für Geschwister als Team* auch als erstes gefragt. Und einige der Forscher haben selbst viele Kinder, die haben sich die Frage auch gestellt. Die Wissenschaft sagt ganz nüchtern und klar: Freut euch, Eltern, denn sie üben fürs Leben! Sechs Mal streiten pro Stunde ist normal, Jeffery Kluger, Autor von Siblings* sagt: „Leute, das ist kein Streit, das ist Performance-Kunst!“
Schauen wir mal genau hin: Alle Menschen haben ständig Konflikte, auch kleine Menschen, das ist ganz normal. Und wenn der Tag schwierig war, wenn wir Hunger haben oder müde sind, dann ist es schwieriger, Konflikte friedlich zu lösen. Das geht uns ja auch so.
Um friedlich zu entscheiden, wer zuerst in die Höhle darf, müssen unsere Kinder ihre Impulse kontrollieren, sich in den anderen hinein versetzen und Interessen verhandeln. Das alles müssen sie erst lernen – und üben.
Eigentlich verhalten sich deine zwei Kesselflicker (und meine) also völlig natürlich. Es ist nur deshalb so anstrengend, weil eigentlich andere, größere Kinder ihnen beibringen wie das geht. Aber in der modernen Welt müssen wir Eltern den Job machen. Und das ist zwischen Alltag, Beziehung, Arbeit und Haushalt eine ganz schöne Herausforderung.
Geschwisterstreit scheint in den besten Familien vorzukommen, aber in manchen ufert er regelmäßig zu handfesten Keilereien aus. Wie viel Aggressionen unter Geschwisterkindern sind normal? Wann sollte ich mir als Mutter Sorgen machen?
Die Faustregel ist: Aggressionen sind normal, Verletzungen sind es nicht. Geschwister streiten wie gesagt bis zu sechs Mal pro Stunde, je jünger sie sind, desto öfter. Das ist auch okay. Aber sie dürfen einander nicht verletzen. Ich schreibe im Buch: Sie müssen lernen, einander zu respektieren, aber sie müssen sich nicht lieb haben.
Wir müssen also immer sofort hinschauen – und unterstützen – wenn jemand mit Worten oder Taten verletzt wird. Auch wenn ein Kind ausgeschlossen wird, brauchen die Kinder unsere Hilfe. Und zwar nicht: „Jetzt spielt ihr alle zusammen oder keiner!“ Wir können stattdessen den Großen und ihrer Lego-Burg Verständnis entgegenbringen und mit dem kleineren Kind etwas machen, das seinem Alter mehr entspricht. Oder gemeinsam überlegen, was möglich ist in der Gruppe.
Meine größeren Kinder frage ich schon mal: „Ich höre lautes Schreien aus dem Kinderzimmer. Braucht ihr mich?“ Kinder können selbst oft gut einschätzen, ob sie Hilfe brauchen oder nicht.
Kann elterliches Verhalten dazu beitragen, dass sich Geschwisterkonflikte verschärfen?
Ja, natürlich. Ich war erstaunt, als ich beim Schreiben feststellte, wie schnell wir Geschwisterstreit im Alltag anfeuern ohne es zu wollen.
„Jetzt entscheide ich, wer zuerst das Schaukelpferd kriegt und dann spielt ihr abwechselnd“ oder „Dann kriegt eben keiner die Puppe, spielt mit was anderem!“– all das ist ein Garant für weiteren Streit. Denn so lernen die Kinder nicht, ihre Konflikte zu lösen, ich löse sie ja.
Oder wir erwarten immer vom „großen“ Kind, dass es zurück steckt, teilt oder „vernünftig ist“. Das erzeugt Druck und der muss an anderer Stelle wieder raus. Oft werden die älteren Kinder, laut Studienlage vor allem Mädchen, von unseren Erwartungen überfordert. Oder Eltern bestrafen das aggressivere Kind, was dann zu mehr Aggression führt, wenn die Eltern nicht hinschauen.
Im Laufe der Recherche zeigte sich: Wir dürfen niemals vergleichen. Auch nicht gut gemeint: „Mia spielt so ruhig, das kannst du doch auch?“ „Schau, dein Bruder hat schön aufgegessen!“ Bewertungen kommen einem so schnell über die Lippen!
Was verbessert das Zusammenleben? Was fördert die Geschwisterbeziehung?
Eine Familie, in der jeder seinen Platz hat und für seine Qualitäten geliebt wird, ist ein guter Anfang. Ich will ja auch nicht ständig bewertet werden – ich will mich geliebt fühlen! Gemeinsame Aktionen, die zeigen, wie wir etwas alle zusammen schaffen können (Schneemann bauen, kochen, Holz sammeln und damit Feuer machen), stärken die Geschwisterbeziehung.
Ich habe ein ganzes Kapitel zu meinem Lieblingsthema geschrieben: „Konflikte spielerisch lösen“. Wenn die Kinder sich um den Kinderstuhl streiten, werfe ich mich zum Beispiel auf den Boden und beschwere mich lautstark, dass ich sowieso NIE den Kinderstuhl kriege. Die Kinder werden erst erstaunt sein und sich dann herzlich amüsieren. Oder ich lasse mich von beiden Kindern überwältigen, wenn sie etwas haben wollen, aber so, dass sie es nur zusammen schaffen.
Dann spielt es auch eine Rolle, welche Geschichte ich den Kindern erzähle. Sage ich: „Na, heute habt ihr endlich mal was zusammen hingekriegt, ist ja sonst nicht so eure Stärke, ihr zwei Streithähne“ oder sage ich: „Hey, ihr seid echt ein gutes Team, ihr habt total schnell den Tisch gedeckt“. Kommunikation ist unglaublich wichtig.
Es hat sich außerdem bewährt, den Kindern immer wieder vor zu leben, dass wir in der Familie die Dinge „miteinander“ machen, nicht „gegeneinander! Schließlich wollen wir so viel gute Zeiten wie möglich haben!
In Deinem Geschwisterbuch schreibst Du, dass Kinder das Nichteingreifen der Eltern bei einem Streit als indirekte Billigung ihres Verhaltens interpretieren, was zu häufigeren und aggressiveren Konflikten führt. Gleichzeitig führst Du Studien an, die belegen, dass es mehr Streit unter Geschwistern gibt, wenn Eltern auf „klassische Weise“ eingreifen und erst Detektiv („Wer hat angefangen?“) und dann Schiedsrichter („Wer ist Schuld?“) spielen. Kannst Du kurz erklären, wann es angebracht ist, sich rauszuhalten und wann es ratsam ist einzugreifen?
Wir sollten immer eingreifen, wenn die Kinder die Dinge nicht selbst geregelt kriegen oder wenn ein Kind ständig unterliegt. Sonst gewinnt immer das stärkere Kind und das Schwächere versucht irgendwann gar nicht mehr, sich für seine Interessen einzusetzen. Aber wird müssen „richtig“ eingreifen. Also nicht als Detektiv und Schiedsrichter, sondern als Coach und Mediator.
Wie gehe ich bei Geschwisterstreit dazwischen? Wie löse ich Konflikte geschickt auf?
Im Buch ist das das längste Kapitel, daher hier nur die Zusammenfassung für den Alltag:
Wenn keine akute Gefahr im Verzug ist, atme ich als erstes tief durch und erinnere mich daran, dass sie ja noch üben. Dann muss ich erst beide Kinder ihre Version des Streits schildern lassen – der Druck muss raus. Ich höre mir alles bis zum Ende an, egal wie absurd ich es finde. So lernen sie, einander ausreden zu lassen. Sie dürfen weinen und schreien und ich warte wirklich, bis alles gesagt ist und sie sich komplett beruhigt haben. Vorher hören sie mir nämlich sowieso nicht zu.
Dann spiegele ich, was ich gehört habe, vor allem die Gefühle: „Okay, Ben, du bist richtig sauer, weil du glaubst, dass Anna mit Absicht deine Schneeburg kaputt gemacht hat?“ „Anna, du bist sauer, weil du nicht mitspielen darfst und bist dann nur aus Versehen in die Schneeburg gefallen?“ Es ist wichtig für die „Theory of Mind“, dass unsere Kinder lernen, die Gedanken und Absichten eines anderen zu verstehen.
Bei kleineren Kindern bieten wir jetzt Lösungen an: „Ich glaube, Ben will alleine spielen, komm Anna, wir gehen schon mal da rüber und wenn Ben fertig ist, dann können wir noch mal fragen“ Bei größeren Kindern fragen wir: „Habt ihr eine Idee, wie wir jetzt weiter machen können?“ Die Ergebnisse erstaunen mich immer wieder. Kinder sind unglaublich kreative Problemlöser, wenn die Wut verebbt ist.
Der Bub liebt das Mädchen und möchte am liebsten ständig mit ihr spielen. Sie dagegen möchte Zeit für sich. Wie kann ich beiden gerecht werden?
Ich kann es spiegeln und in Worte fassen: Schaut, die Situation ist so, er will spielen, sie will ihre Ruhe. Dann mache ich die Familienregeln klar: Niemand muss mit jemandem spielen, wenn er keine Lust hat.
Nun suche ich Lösungen: „Könntest du vielleicht nach dem Mittag mit ihm spielen? Vielleicht 10 Minuten? Oder nach dem Abendessen? Oder morgen Mittag?“
Und bei kleinen Kindern biete ich bis dahin eine Alternative an: „Bis dahin machen wir etwas Schönes, komm mit!“
Was tun, wenn einer ständig ärgert und piesackt? (Machst Du Unterschiede, wenn es das ältere oder das jüngere Geschwisterkind ist?)
Wenn einer ständig ärgert und piesackt, übe ich wieder „Theory of Mind“ mit den Kindern: Was will das Kind wirklich? Große Kinder frage ich: Was hat dich erbost? Was brauchst du? Bei kleinen Kindern muss ich selbst mich einfühlen: „Er ist vielleicht müde oder sauer?“ Entweder sind es alte Verletzungen, die da rauskommen oder einfach die Suche nach Kontakt. Je nachdem muss die Wut raus oder ich muss dem Kind zeigen, wie es in Kontakt kommt und was man macht, wenn der andere gerade keine Lust hat.
Was, wenn ein Kind eifersüchtig reagiert?
Eifersucht ist immer Angst vor Verlust – bei allen Menschen. Daher muss ich diesem Kind besonders viel Aufmerksamkeit widmen. Dieses Kind sollte soviel liebevolle Versicherung meiner Liebe, Zuwendung, Extra-Umarmungen, Spielzeit und Kuscheln kriegen, bis es sagt: „Danke, es reicht!“ Oft braucht es dafür gar nicht so viel!
Niemals darf ich mich gegen ein Kind ausspielen lassen mit Fragen wie: „Wen hast du lieber?“ Die Antwort ist immer: „Du hast einen Platz in meinem Herzen, da bist nur du. Ja, deine Schwester hat auch so einen Platz, aber du hast deinen und der gehört nur dir.“
Wie handhabe ich das Teilen von Spielsachen? Die Große sagt bei vielen Teilen, die der Bub in die Hand nimmt: „Das ist meine“. Stimmt ja im Grunde auch. Nur interessiert sie sich immer nur dann dafür wenn er es gerade entdeckt.
Das ist normal – wir Erwachsenen sind im Grund ja oft auch! Laura Parker Markham hat in ihrem Buch Peaceful Parents, Happy Siblings* eine großartige Lösung dafür: Keiner muss teilen. Die Große muss nur abgeben, wenn sie möchte. Wenn der Bub es haben will, sagen wir ihm: „Komm wir fragen. Oh, sie hat Nein gesagt. Okay, später?“ Und dann schauen wir: Gehört es der Großen und sie sagt Nein, dann ist das so. Wir begleiten den Bub durch den Frust und zeigen ihm, was ihm allein gehört und was er stattdessen machen kann. Gehört es beiden und sie hat es nur gerade für sich entdeckt, dann machen wir aus, wann der Bub dran ist. Dazu brauchen wir eine Regel, die heißt, z.B. maximal bis zum Abendessen. Sonst fragen wir: „Wie lange spielst du noch damit?“ und das kluge Kind sagt: „Für immer!“
Dieses Vorgehen ist unschätzbar! Denn so lernt die Große, dass sie keine Angst um ihren Besitz haben muss, nur weil jetzt der Bub da ist – die Wut auf den Bruder entfällt. Und der Bub lernt, dass auch er Sachen haben kann, die ihm gehören und dass er warten kann und nicht die Welt untergeht – das ist ein Leben lang von Vorteil!
Und die Große lernt, wenn sie das Spielzeug abgibt, dass sie ein großzügiges Kind ist. Das ist ein unschätzbarer Vorteil gegenüber der Message: „Du bist selbstsüchtig und daher muss man dir Sachen wegnehmen, wenn jemand sie haben will.“ Es ist ein anderes Menschenbild. Wir gehen davon aus, dass unsere Kinder selbstverständlich gerne auch anderen eine Freude machen – und das tun sie dann auch, weil das in ihr Selbstbild übernehmen. Dieses Menschenbild haben wir im ganzen artgerecht-Projekt und es war mir wichtig, dass das auch in Geschwister als Team* deutlich herauskommt. Und es funktioniert wirklich extrem gut.
Streitereien enden hier manchmal in Aussagen wie „Ich hasse dich!“ oder „Ich will nie wieder mit Dir spielen!“ Wie gehe ich mit solch starken Gefühlen um?
Kinder sind – wie Jesper Juul sagt – kompetent, aber nicht erfahren. Dass auch die stärkste Wut verraucht, lernen sie erst noch und wir können ihnen dabei helfen. Also spiegeln wir, setzen in Perspektive und ordnen ein: „Puh, du bist echt sauer, manchmal können Geschwister anstrengend sein, das verstehe ich. Schau mal, deinen Bruder hat das ganz schön getroffen, was du gesagt hast, er schaut ganz traurig. Ich denke, gestern habt ihr so schön miteinander gespielt, jetzt willst du nie wieder mit ihm spielen, das ist okay, aber die Wut geht vorbei.“ So lernen die Kinder, dass sie wütend sind und dass das okay ist, aber dass starke Gefühle vorbei gehen. Und sie lernen, was ihre starken Ausbrüche mit anderen machen – auch das ist ein wichtiger Schritt.
Was mache ich, wenn mich ein Streit so sehr mitnimmt, dass ich selbst wütend werde?
Weiteratmen. Was macht mich wütend? Wer in mir ist gerade verletzt? Oft ist es ja unser eigenes, inneres Kind, das da ausflippt. Die Kinder selbst wollen ja nie etwas Böses, sie sind einfach nur Kinder.
Ich habe vieles ausprobiert als ich Geschwister als Team geschrieben habe und das hier funktioniert am besten: Ich sage meine Wahrheit. „Kinder, es regt mich total auf, dass ihr hier so miteinander umgeht. Ich kann das nicht gut aushalten.“ Dann zeige ich, wie ich mit meiner Wut umgehe, zum Beispiel: „Ich muss erstmal einen Schluck Wasser trinken.“ Wenn ich mich dann auf den Boden setze und statt zu wüten ganz authentisch sage, was hinter der Wut ist, haben wir alle gewonnen: „Ich verstehe euch, aber ich weiß gerade nicht, was ich machen soll. Ich bin müde. Ich will Abendessen machen. Ich weiß nicht weiter, es ist mir gerade alles zu laut.“ In der Regel reagieren schon ganz kleine Kinder unfassbar empathisch auf echte Worte.
Hast Du einen Notfallplan, wenn mir alles zu viel wird und ich es nicht schaffe geduldig zu reagieren? Wenn niemand da ist, der mir die Kinder in diesem Moment abnehmen kann?
Wann kann ich nicht mehr geduldig sein? Dann, wenn ich total gestresst bin. Physiologisch heißt das, dass mein Mandelkern im Gehirn feuert, als wäre ein Raubtier hinter mir her – ich bin im Notfallmodus, mein Denken funktioniert nicht mehr, mein Körper will sich bewegen, ich sehe alles als Gefahr. Glücklicherweise sind die Körperwahrnehmung und das Stresssystem wie eine Wippe gebaut. Das habe ich aus Gehirn eines Buddhas*, von Rick Hanson gelernt. Er schreibt: Wenn ich eine Seite herunterdrücke, geht die andere hoch.
Das heißt für uns Eltern: Wenn ich jetzt einen Schluck Wasser trinke oder mich abklopfe oder auf der Stelle hüpfe, schaltet mein Gehirn den Stressmodus wieder ab und ich finde zurück zur Ruhe, mein präfrontaler Cortex, wo das Denken sitzt, springt wieder an, ich kann wieder empathisch sein.
Klingt völlig abstrakt, oder? Aber es ist eine Frage der Übung. Wem das schwer fällt, der kann mal eine Woche lang jeden Abend einfach nur drei Minuten lang seinem Atem nachspüren – das stärkt die Zentren im Gehirn, die ich dafür brauche. Im Geschwister als Team -Buch* gibt es Arbeitsblätter am Ende mit noch mehr Übungen. Die Ergebnisse sind wirklich erstaunlich!
Wenn Du allen Eltern da draußen nur einen Tipp geben dürftest. Welcher wäre das?
Bleibt in Kontakt mit euren Kindern, so heißt das letzte Kapitel im Geschwister-Buch. Immer wenn wir aus dem Kontakt gehen, wenn wir etwas zwischen uns und unsere Kinder kommen lassen, wird es schwierig. Wenn ich in Kontakt bin, wenn ich meine Liebe zu den Kindern spüren kann, dann sehe ich, wie verletzlich sie sind. Dann sehe ich, wie sehr sie lernen wollen und wie sehr sie mich brauchen. Und plötzlich habe ich die Kraft, auch ihren 528. Streit wieder zu geduldig abzufedern mit: „Okay, ich höre laute Stimmen im Kinderzimmer. Erzählt mal: worum geht es? Wer braucht was? Wie könnten wir das lösen?“