Hausgeburt mit Hindernissen

Kathrin Familienleben 25 Kommentare

Ich hatte große Angst vor der zweiten Geburt und das wurde mir bewusst, als ich in der 8. Schwangerschaftswoche mit meiner Hebamme Lisa über die Geburt unseres Mädchens sprach (siehe „Geburtsbericht“). Während ich ihr von den unfassbaren Schmerzen im unteren Rücken, den scheinbar endlosen Presswehen und dem „Gewaltakt“ am Ende erzählte, wackelte meine Stimme und Tränen kullerten über meine Wangen.

Vorbereitung

Wir waren uns einig, dass ich dringend etwas gegen meine Ängste unternehmen musste. Glücklicherweise hatte ich noch viele Wochen Zeit, um mich auf das „Finale“ vorzubereiten und einige Ideen, wie ich das angehen konnte.

Osteopathische Untersuchung

Zuallererst steuerte ich eine Osteopathin an, um zu schauen, ob es körperliche Ursachen für diese verdammten Schmerzen im unteren Rücken gab. Sie fand recht schnell den Übeltäter – mein nach innen verbogenes Steißbein – und behandelte dieses in nur zwei Sitzungen (siehe „Osteopathin entdeckt Ursache für Geburtsschmerz“).

Mit negativen Erinnerungen auseinandersetzen

Dann versuchte ich dem „schlechten Gefühl“, das mich in der zweiten Geburtshälfte im Krankenhaus verfolgte, auf den Grund zu gehen. Antworten fand ich im Buch „Geburt und Stillen“ von Odent, das mich in meiner Entscheidung eine Hausgeburt anzusteuern, bekräftigte (mehr dazu ausführlich hier: „Warum eine Hausgeburt?“).

Vertrauen in die Natur und in mich selbst gewinnen

Mit den Texten von Odent und Marie F. Mongan (HypnoBirthing) festigte sich in den Wochen bis zur Geburt nicht nur der Glaube, dass ich mithilfe meiner Hebamme in der Lage bin, mein Baby zu gebären und kein Krankenhaus oder Ärzteteam dafür benötige. Ich entwickelte außerdem eine zuversichtliche Einstellung zur Geburt. Meine Ängste und Sorgen wurden weniger, je mehr ich mich gedanklich mit der Thematik beschäftigte – je mehr ermutigende Worte ich las.

Hypnobirthing?

Da mich einige Leser immer wieder auf HypnoBirthing aufmerksam machten, kaufte ich mir das Buch. Es basiert auf den Beobachtungen, dass gebärende Frauen bei einer natürlichen, selbstbestimmten Geburt tranceähnliche Zustände erreichen. Es heißt, mithilfe von geburtsvorbereitender Hypnose seien alle Frauen in der Lage solch einen Zustand im entscheidenden Moment aktiv herzustellen, was die Geburt insgesamt leichter und schmerzfreier gestalte.

Einen HypnoBirthing-Kurs konnte ich aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht besuchen und ich habe auch die Übungen aus dem Buch nicht jeden Abend gemacht. Meine „Massage-Hebamme“ Isabelle zeigte mir jedoch Entspannungsübungen und verschiedene Wege bewusst loszulassen, die erstaunlich gut funktionierten und die ich immer mal wieder im stressigen Alltag ausprobierte. Ich hatte das Gefühl, mich auch in schwierigen Situationen auf Knopfdruck entspannen zu können, was mir ebenfalls Mut und Selbstvertrauen bescherte.

Atmen üben

Ich fand die im HypnoBirthing-Buch beschriebenen „tiefen und langen“ Atemtechniken übrigens wesentlich angenehmer und nachvollziehbarer, als die energieraubende „Hechelei“ aus dem Geburtsvorbereitungskurs. Und so übte ich jeden Abend die „Wellenatmung“, die mir helfen sollte, die Wehen ruhig und gelöst zu verarbeiten und „das Kind sanft und langsam in Richtung Vagina auszuatmen“.

Damm massieren

Eine andere aktive und den Kopf beruhigende Vorbereitung bestand darin, ab der 34. Schwangerschaftswoche fast täglich ein paar Minuten meinen Damm zu massieren. Vor der ersten Geburt nahm ich das nicht sonderlich ernst – vielleicht der Grund, warum mich unser Mädchen so derbe zerfetzte…

Geburtserleichternde Klänge

10 Tage vor der Geburt erhielt ich eine überraschende Facebook Nachricht von Leserin Martina Stocker:
„Liebe Kathrin, wenn du magst, spiele ich Dir für Deine Hausgeburt meine Klänge. Die kannst Du laufen lassen zur Entspannung und zur Unterstützung für das Baby. Ich finde Deinen Blog ganz toll und würde Dir gerne für all Deine Arbeit damit einen Ausgleich geben. Das hast Du Dir verdient. Guck es Dir an, ob es für Dich in Frage kommt: www.nama-niri.de/fuer-schwangere
Liebe Grüße, Martina

Ich freute mich riesig über dieses persönliche Geschenk und nahm es gerührt und neugierig an. Es sollte den Bub zu einem „schnellen und einfachen Weg raus“ ermutigen. Als ich die MP3 auf meinem Rechner abspielte, begann der kleine Mann sofort in meinem Bauch zu tanzen. Meinen eigentlichen Musikgeschmack traf es nicht –  es war ja auch nicht als Unterhaltungsmusik gedacht – aber ich war sehr gespannt auf die Wirkung.

Die Geburt

Sonntag, 23.11.2014

6 Uhr

Unser Mädchen (3,5 Jahre) weckt mich. Ich stille sie wie üblich nach dem Aufwachen und spüre plötzlich ein starkes Ziehen im Unterleib. Ich werde unruhig, aber erfülle ihr die Bitte noch im Bett zu kuscheln und Bücher zu lesen.

7.00 Uhr

Nach einer Stunde Unterleibsziehen weiß ich sicher, dass es heute losgeht. Trotzdem vergewissere ich mich im Bad. Der Schleimpfropf hat sich gelöst und leichte Blutspuren hinterlassen. Das Ziehen im Unterleib wird außerdem stärker und so verkünde ich Thomas und unserem Mädchen, dass sich der Bub auf den Weg macht.

Wir begeben uns in die Küche, um zu frühstücken, obwohl ich keinen Appetit verspüre.
Ich bin ziemlich aufgeregt und gleichzeitig versuche ich einen kühlen Kopf zu bewahren, denn ich kann nicht abschätzen wie viel Zeit mir bleibt. Ich muss das Mädchen für den Tag bei der Omi fertig machen und entsprechend ein paar Sachen packen. Omi anrufen. Duschen. Die finalen Vorbereitungen für die Hausgeburt treffen. Ich bin total nervös.

Checkliste-Hausgeburt

Der für den Geburtsbeginn wichtige Abschnitt unser „Checkliste Hausgeburt“, die wir von Lisa erhalten hatten.

Thomas grinst die ganze Zeit, er wirkt fröhlich, aber ebenfalls aufgeregt. Unser Mädchen sucht meine Nähe – sie will Ringelreihe tanzen. Als wir uns im Kreise drehen, kämpfe ich mit den Tränen, weil es unser letztes gemeinsames Tänzchen allein ist. Sie strahlt mich an und ahnt nichts von den ihr bevorstehenden, gravierenden Veränderungen, während ich innerlich Abschied nehme von unserer intensiven und exklusiven Mama-Tochter-Zeit. Ich werde sehr traurig.

Meine Tränen kann ich heimlich wegwischen und meine Traurigkeit somit vor ihr verbergen. Aber sie schaut mich mit großen Augen an, als sie sieht wie ich die Wehen in „eingefrorener Pose“ veratmete. „Was ist?“ fragte sie mich. Ich erkläre ihr, dass ich mit meiner Atmung ihrem Brüderchen helfe, den Weg nach draußen zu finden. Ihr besorgtes Gesicht zeigt mir, dass es eine gute Entscheidung ist, sie während der Geburt bei Omi zu lassen. So kann ich mich ohne Ablenkung und schlechtem Gewissen ganz auf mich konzentrieren und sie muss sich keine Sorgen machen.

7.47 Uhr

Die Wehen werden stärker, die Abstände kürzer (5 Minuten). Ich schicke meiner Hebamme Lisa eine SMS, dass sie sich auf eine baldige Geburt einstellen kann. Dann packe ich fix ein paar Sachen für unser Mädchen zusammen.

8 Uhr bis 10 Uhr

Sie lässt nicht von mir ab und möchte noch einmal meinen Bauch anmalen. Ich will mich eigentlich lieber auf meine Wehen und die Vorbereitungen konzentrieren, aber ich kann ihr diese Wünsche nicht abschlagen. Ich lasse meinen Bauch noch schnell bemalen und fotografieren und steige anschließend unter die Dusche. Die Wehen werden stärker.

Babybauch

Das allerletzte Bauchfoto kurz vor der Entbindung.

Als ich fertig bin, steht Oma im Wohnzimmer, bereit das Mädchen abzuholen. Ich verabschiede mich von ihr und will eigentlich in die Küche, um den Abwasch zu machen – es sollte ja alles „perfekt“ sein, bevor Lisa kommt. Aber der ist mir plötzlich total egal.

Ich will mich nur noch bei mir und den stärker werdenden Wehen sein. Ich lege Martinas CD mit den Klängen ein und mich auf unsere Kuschelmatratze, um auszuruhen. Thomas lässt Wasser in den Geburtspool  ein und mich in Ruhe.

Hausgeburt

Ich will nur noch liegen…

Eine sehr tranceähnliche Atmosphäre entsteht und ich tauche voll und ganz in die Musik – in meine Atmung ein.

10.05 Uhr

Lisa kommt und sagt: „Du siehst nach Geburt aus.“ 🙂

10.17 Uhr bis 11 Uhr

Lisa prüft die Herztöne und anschließend steige ich in den Pool. Das Wasser ist herrlich warm und ich fühle mich pudelwohl. Die Wehen sind stark, aber gut zu ertragen. Ich bewege mich im Vierfüßlerstand durch das Becken und atme konzentriert. Die Musik ist so wohltuend, das ich sie in einer Dauerschleife hören möchte.

Draußen scheint die Sonne und in den Wehenpausen genieße ich zurückgelehnt die warmen Strahlen auf meinem Gesicht. Spüre ich die nächste Wehe, versuche ich meine Gesichts- und Unterleibsmuskulatur komplett zu entspannen. Ich versuche den Weg nach unten frei zu machen, bewusst loszulassen und den Bub hinunter zu atmen. All das fühlt sich trotz kurzer Wehenabstände (alle 2-3 Minuten) sehr leicht an. Genau so hatte ich mir das vorgestellt.

Lisa

Ich im Zustand völliger Entspannung, während Lisa im Hintergrund den Geburtsbericht schreibt.

11.00 Uhr

Die Wehen werden kräftiger. So kräftig, dass ich einen leichten Pressdrang verspüre und mich an Thomas’ Arm klammere. Mir fällt es zunehmend schwerer die „anrollenden Erdbebenwellen“ leise zu veratmen und es gelingt mir nur noch mit Mühe meine Muskeln zu entspannen.

11.30 Uhr

Nun wird es richtig anstrengend. Die Wehen sind so gewaltig, dass ich mir nicht nur ein baldiges Ende wünsche, sondern überzeugt bin, auf der Zielgeraden zu sein.

11.53 Uhr

Berit, die zweite Hebamme, trifft ein und verweilt zunächst in der Küche.
(Meistens kommt bei einer Hausgeburt gegen Ende noch eine zweite Hebamme zur Sicherheit hinzu.)

12.15 Uhr

Lisa untersucht mich und verkündet, dass ein kleiner Zipfel am Muttermund den Kleinen daran hindere, tiefer zu rutschen. „WAS?“ frage ich. Ich dachte, es ist gleich geschafft (ich spüre doch schon die Presswehen!) und jetzt sagt Lisa, dass der Bub noch nicht mal richtig im Becken angekommen ist?

„Scheiße! Das kann doch nicht sein! Es lief doch so gut!“ fluche ich vor mich hin. Ich bin plötzlich total demotiviert und mit der Entspannung ist es schlagartig vorbei.

Lisa wartet die nächste Wehe ab und verlangt von mir, so fest ich kann zu „pressen“, während sie versucht den Zipfel wegzuschieben. Pressen? Ich wollte mein Baby doch sanft hinaus atmen! Ich bin enttäuscht, aber gebe Gas. Vergebens.

12.25 Uhr

Lisa überredet mich zum zweiten Mal ein paar Wehen auf der Toilette auszusitzen. Sie ermuntert mich zum Urinieren (weil eine volle Blase ebenfalls den Weg blockiert). Das könne helfen. Klappt aber nicht.

12.32 Uhr

Ich steige wieder in den Pool. Ich will ins Wasser. Ich versuche mich erneut zu entspannen, aber die heftigen Wehen und der dämliche Zipfel stehen mir im Weg. Ich wollte doch eine sanfte Geburt und jetzt gelingt es mir noch nicht mal den Bub durch den Muttermund zu befördern. Noch nicht mal mit größtem Kraftaufwand. Ich kämpfe mit den Wehen und bin frustriert.

 Pool

12.55 Uhr

Die Herztöne des Buben sinken. Ich soll aus der Wanne. Scheiße! Echt? „Wir gehen jetzt zusammen auf Toilette und ich versuche den Zipfel in den Wehen wegzuschieben.“ sagt Lisa. „Versuche über den Schmerz hinauszuschieben! Du schaffst das! Mach Deinen Kopf frei! Es ist nicht die Geburt Deiner Tochter!“

Ich könnte heulen. Kopf frei machen? Soll das ein Witz sein? Genau wie damals gibt es Komplikationen (unser Mädchen hatte die Nabelschnur 3-fach um den Hals) und ich muss raus aus der Wanne, weil die Herztöne sinken. ICH WILL ABER NICHT AUS DER WANNE! Und weil ich dieses Mal von Rückenschmerzen verschont bleibe, kann noch nicht mal sagen warum…

13.05 Uhr

Über den Schmerz hinausschieben… Verdammt. Ich habe Angst. Mein Kopf ist zu. Aber der Bub muss raus. Und so sitze ich auf der Toilette und presse wieder aus voller Kraft nach unten, während Lisa versucht den Zipfel wegzuschieben. Au! Ich presse noch mal. Und noch mal. Und dann endlich – geschafft. Zumindest ist das Köpfchen jetzt durch den Muttermund…

Mein Pressdrang wird immer heftiger. Ich darf nicht mehr in den Pool und so begebe ich mich auf die Kuschelmatratze. Ich knie; ich stehe; ich hänge mich in das Tragetuch, das unserer Tochter sonst als Schaukel dient und presse in jeder Wehe aus Leibeskräften mit. Damit bewirke ich lediglich, dass meine Kräfte schwinden und die Herztöne des Buben wieder sinken.

Dann die zweite Hiobsbotschaft: der Knabe hat sich noch nicht richtig ins Becken gedreht – er schaut mit dem Gesicht zur Bauchdecke (siehe „Sternengucker“).

Nein, oder? Ich bin erschöpft und möchte am liebsten aufgeben – verstehe jetzt allerdings, warum all meine Energie ins Leere schießt. Warum der Bub – genau wie seine Schwester – immer wieder zurückrutscht. SO EIN VERDAMMTER MIST! Ein verdammtes Déjà vu!

13.26 Uhr

„Wenn sich die Lage nicht stabilisiert, müssen wir rüber in die Klinik!“ höre ich Berit sagen. In die Klinik? Nein! Auf keinen Fall! Das schaffe ich nicht! Obwohl wir direkt gegenüber wohnen… Ich müsste mich anziehen, vier Etagen hinunter laufen und da draußen an vielen fremden Menschen vorbei. DAS WILL ICH NICHT!

Ich soll mich zunächst auf die Seite legen und versuchen die Presswehen zu veratmen, damit ich und der Kleine verschnaufen können. Ich habe kaum Rückenschmerzen und kann problemlos so liegen. Wenigstens was.

13.32 Uhr

Die Herztöne des Buben verbessern sich und auch mir tut die „Verschnaufpause“ gut. Ich rapple mich wieder auf, hänge mich erneut mit den Armen ins herabhängende Tragetuch und presse die nächsten Wehen mit all der Kraft, die ich aufbringen kann. Doch der Bub rutscht nur mäßig tiefer 🙁

13.45 Uhr

Erschöpft lege ich mich wieder auf die Seite. Ich kann nicht mehr!
„Das kann Dir jetzt keiner abnehmen, Kathrin! DU musst das Kind auf die Welt bringen.“ erinnert mich Lisa. Ich schimpfe innerlich vor mich hin, während Lisa mir eine Fußmassage zum Loslassen verpasst.

13.51 Uhr

Ich begebe mich wieder auf die Knie, in der Hoffnung den Knaben aufrecht und mithilfe der Schwerkraft besser hinausbefördern zu können. Aber ich stelle ernüchtert fest, dass das Pressen in dieser Position meine letzte Kraft frisst und kaum etwas bewirkt.

14.12 Uhr

„Leg Dich wieder auf die Seite!“ rät Berit. Sie reicht mir ihre gekreuzten Hände, die ich mit meinen gekreuzten Händen in den Wehen fest umschließe. Thomas liegt neben mir – sein Bein dient meinem als Stütze und Lisa hält einen warmen Waschlappen an meine Scheide, um das Gewebe weichzumachen.

Obwohl ich fix und fertig bin, mobilisiere ich alle meine Reserven. Mit jeder Wehe presse ich so fest, bis ich das Köpfchen deutlich spüre, aber er rutscht immer wieder zurück statt raus. Plötzlich schluchzt Thomas laut auf und mir wird der Ernst der Lage bewusst.

14.20 Uhr

Ein letzter Wechsel in die tiefe Hocke. Ich presse wie bescheuert, doch habe nur das Gefühl ohnmächtig zu werden. Nein, so wird das nichts.

14.27 Uhr

Noch mal die Seitenlage mit Kreuzgriff. Lisa feuert mich an „Komm schon Kathrin! Weiter, weiter, weiter!! Du packst das!“ Berit unterstützt mich ebenfalls: „Rolle mit jeder Wehe Deinen Oberkörper wie bei einem Bauchmuskel-Crunch ein!“
(Damit konnte ich quasi selbst den sogenannten Kristeller-Handgriff durchführen (mit dem Ellenbogen von außen gegen den Bauch drücken), mit dem die Ärztin damals unser Mädchen hinaus schob.)

Ich presse, aktiviere meine Bauchmuskeln, ich schiebe über den Schmerz und zwar mit wirklich aller mir zur Verfügung stehenden Energie – und da ist er der Kopf endlich! Er ist durch!

14.31 Uhr

Ich bin so unfassbar erleichtert, dass ich lächelnd bei der letzten Wehe, die unseren Sohn komplett hinausschiebt, mitdrücke.

Ich habe es geschafft. Wir haben es geschafft. Ich bin stolz und so unfassbar glücklich.

14.33 Uhr

Unser Sohn kackt mir – ebenfalls wie seine Schwester damals – zur Begrüßung auf den Bauch 🙂
Er ist schlapp (Apgar Werte: 6/8/10) und hat einen eiförmigen Kopf, aber der Bub samt Kopf erholt sich recht flott.

Hausgeburt-Nestling

Mir geht es bestens. Ich bin zwar echt platt, aber verspüre keine Schmerzen, die ein Schmerzmittel erfordern. Obwohl der Knabe so oft vor und zurück rutschte und als Sternengucker schlüpfte, bin ich nur minimal gerissen. Lisa benötigt lediglich zwei Stiche, was mich ebenfalls aufmuntert.

Damals bei der ersten Geburt dauerte das Nähen nämlich über 45 Minuten und während mir die Tränen ununterbrochen über die Wangen liefen, musste ich die ganze Zeit an die Beschneidung afrikanischer Mädchen denken…

Und dann? Dann genieße ich einfach das kleine, neue Leben! In aller Ruhe dürfen wir beide uns beschnuppern. Er mag nicht so recht trinken – rümpft die Nase, als ich ihm meine Brustwarze darunter halte und nimmt nur ein paar zaghafte Schlucke. Doch wir wissen alle, dass er nur etwas Zeit braucht. Niemand stresst uns, weil er lieber erstmal stundenlang schlafen möchte. Wir vertrauen ihm, dass er sich holt, was er braucht.

Irgendwann untersucht Lisa den Kleinen. Als die Nabelschnur auspulsiert ist, darf Thomas sie durchtrennen und anschließend schauen wir uns gemeinsam die Plazenta an (die vom Mädchen wollte ich nicht sehen.). Wir besprechen aufgeregt den Verlauf der Geburt, während die Hebammen dezent und ohne Hektik die Spuren der Geburt beseitigen. Ich bin so froh, zu Hause zu sein!

Gegen 17 Uhr kommt Omi mit dem Mädchen. Das Mädchen ist sichtlich verwirrt und nachdem sie den Bub gesehen hat, fängt sie an zu schluchzen. Ich biete ihr an, mit ihm gemeinsam an meiner Brust zu trinken. Das Angebot nimmt sie erleichtert an und so halte ich sie fest im Arm – meine beiden über alles geliebten Nestlinge!

Schlussgedanke

Im Leben habe ich nicht damit gerechnet, dass ich so eine Geburt wie die unseres Mädchens noch ein zweites Mal erleben würde. Glücklicherweise wusste ich vorher nicht, was auf mich zukommt, sonst wäre ich diese Reise nämlich nicht so entspannt und gelassen angetreten.

Ich hatte mir eine schnelle und einfache Hausgeburt erhofft. Stattdessen konfrontierte mich das Schicksal mit fast der gleichen, problematischen Geburtssituation. Beide Kinder durfte ich nicht im Pool zur Welt bringen, weil das warme Wasser die Wehen schwächte und die sinkenden Herztöne ein Weitermachen „an Land“ erforderten. Beide Kinder wurden durch unvorhersehbare Umstände an einem unkomplizierten Weg nach draußen gehindert. Bei beiden Geburten verzweifelte ich an den unendlichen Presswehen und nur mit enormer Verbissenheit und Willensstärke gelang es mir meine Kinder „hinauszuquetschen“.

Kurz vor der Geburt unseres Sohnes glaubte ich felsenfest, ich könne mein Baby selbst gebären und ich bräuchte keine Hilfe. Heute weiß ich nicht, wie ich den Buben ohne Lisa und Berit hätte zur Welt bringen sollen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese beiden erfahrenen Frauen an meiner Seite hatte und frage mich, welchen Verlauf die Geburt wohl ohne ihre hilfreiche Unterstützung genommen hätte…

Meine Vorstellung von sanfter Geburt (das Baby hinaus atmen) und aufrechter Geburtsposition (einfach die Schwerkraft wirken lassen) zerplatzte unter der Geburt wie eine Seifenblase. Ein schönes Beispiel für den Spruch: „Die Theorie träumt, die Praxis belehrt“ (Karl von Holtei). Wir können uns noch so gut vorbereiten und dadurch sicher mental gestärkt(er) den Ereignissen gegenüberstehen, aber manche Abläufe sind einfach nicht planbar.

Meine Vermutung dagegen, dass ich mich zu Hause wohler fühlen würde als in der Klinik, hat sich bestätigt. Keine Sekunde hatte ich das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Im Gegenteil bin ich überzeugt, dass wir in der Klinik nicht so viel Zeit zum Ausruhen und Ausprobieren gehabt hätten. Denn bereits kurz nach 12 fühlte Lisa, dass der Bub ein Sternengucker ist und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Klinikarzt unter diesen Umständen meinen über zweistündigen „Wehenkampf“ mit angeschaut hätte…

Die Geburt war schwer und die Tatsache, dass der Knabe verkehrt herum lag alles andere als schön. Dennoch war es aus mehreren Gründen für mich eine sanfte,wenn auch heftige Geburt: Ich durfte die 1:1 Betreuung von zwei einfühlsamen Hebammen in den mir vertrauten Wänden genießen. Ich wurde immer gefragt, wenn eine Änderung/ Maßnahme bevorstand und wir trafen stets gemeinsam Entscheidungen. Außerdem setzten die beiden Mädels alles daran, dass ich zu Hause gebären kann. Dass es mir und dem Baby gut geht.

An dieser Stelle möchte ich Lisa und Berit deshalb noch einmal von ganzem Herzen für ihre Arbeit danken!

Nestling2

Der kleine Nestling und ich – frisch geputzt kurz nach der Geburt.

Ich habe übrigens lange überlegt, ob ich unsere Hausgeburt wirklich so intensiv thematisieren soll, da es ja aufgrund der aktuellen Hebammensituation wahrscheinlich bald kaum noch außerklinische Geburtshilfe geben wird. Ich entschied mich dennoch dafür, gerade weil meine Erfahrung zeigt, dass Hebammen mit ihrer fachlich-kompetenten und fürsorglichen Unterstützung auch komplizierte Geburtssituationen meistern können. Dass sie für das gesundheitliche und emotionale Wohlbefinden von Gebärenden von großer Bedeutung sind.

Deswegen möchte ich mit meinen Gedanken und Berichten über die Hausgeburt aktiv die Werbetrommel rühren, damit der so bedeutende Beruf der Hebamme hoffentlich nie ausstirbt!

Eure Kathrin

 

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