Kinder trösten: Vom Pusten und Küssen

Jasmin Familie Leave a Comment

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ – so steht es schon in der Bibel. Es impliziert, dass mütterliches Trösten etwas Ursprüngliches ist, etwas Basales und ganz und gar Natürliches. Aber so selbstverständlich finde ich die Sache mit dem Trösten nicht. Wie tröstet eine Mutter denn? Gibt es da nur einen Weg? Sicher nicht, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

„Alles gut, ist gar nichts passiert!“ Oder doch?

Schon vor ein paar Jahren hat mich eine liebe Freundin für das Thema sensibilisiert. Wir waren gemeinsam im Park spazieren und mein Sohn (heute vier) hat die ersten, wackeligen Laufversuche unternommen. Er ist hingefallen und fing sofort an zu weinen. Ich bin zu ihm geeilt, habe ihn in den Arm genommen und gesagt „Alles gut, ist gar nichts passiert!“ Schnell ablenken, damit er bloß nichts merkt, dachte ich. Dabei spulte ich mantramäßig meine „Halb-so-wild“-Sätze herunter.

Doch als sich mein Sohn wieder beruhigt hatte, machte meine Freundin mich darauf aufmerksam, dass das so ja nicht stimmt, was ich ihm da erzähle. Dass sehr wohl etwas passiert sei. Er ist hingefallen und das hat ihm ganz sicher weh getan.

Sie hatte Recht! Denn wenn ich stürze, mir vielleicht das Knie aufschlage und dann von meinem Mann gesagt bekomme: „Ach, ist doch nicht so schlimm!“ Puuh, da wäre ich aber sauer! Wieso gehen wir also mit unseren Kindern so um? Zählen ihre Gefühle weniger? Ich wäre wahrscheinlich gefragt worden, wie es mir geht. Mein Mann hätte mir aufgeholfen und mich in den Arm genommen, vermute ich. Und wenn nicht, dann hätte ich daran gezweifelt, ob er überhaupt so etwas wie Mitgefühl besitzt. Ich hätte ihm Desinteresse an meiner Person vorgeworfen und mich gewundert, wie er beurteilen will, wie es mir in der Situation geht.

Kinder & Gefühle: Erklären, statt kleinreden!

Wir sprechen unseren Kindern ihre eigenen Gefühle und Empfindungen ab, wenn wir versuchen, ihnen weiszumachen, es sei nichts passiert. Invalidieren nennen Verhaltenspsychologen das. Für Kinder ist es dann besonders problematisch, wenn sie regelmäßig damit konfrontiert werden.

Denn man kann sich das so vorstellen: Wenn wir auf die Welt kommen, haben wir noch kein Konzept von Gefühlen. Wir wissen nicht, was Ärger ist oder Freude. Wir kennen weder Schmerz, noch Wut, auch keine Trauer oder Angst. Stattdessen sind wir auf eine Bezugsperson angewiesen, die uns diese Empfindungen regelmäßig spiegelt.

Wenn einem Kind also sein Lieblingsspielzeug kaputt geht und Mama sagt: „Oh nein! Das schöne Holzauto ist zerbrochen. Jetzt bist du ganz traurig!“ – dann begreift das Kind: „Aha. Dieses Gefühl in meinem Bauch, der Druck auf der Brust – DAS ist also das Gefühl von Traurigkeit.“ So lernt es, seine körperlichen Signale einem bestimmten Gefühl zuzuordnen und dies zudem zu verbalisieren.

Geschenke-Geburt

Was passiert, wenn wir Kinder nicht trösten?

Wenn wir dazu tendieren, unsere Kinder abzulenken, ihren Kummer kleinzureden oder sie immerzu ermutigen stark zu sein, dann nehmen wir ihnen die Chance, voll und ganz in ihre große Palette der Gefühle einzutauchen. Sie im vollen Umfang zu spüren, zu erkennen und anzunehmen. Sie lernen im schlimmsten Fall, dass bestimmte Gefühle richtig sind, andere falsch – was schlichtweg nicht stimmt. Zudem laufen sie Gefahr, Emotionen zu unterdrücken, um zu gefallen. Sich uns zuliebe zu verstellen.

„Kinder, die lernen, ihren Gefühlen zu misstrauen, denen immer wieder gesagt wird, „das ist nicht so schlimm“, „du fühlst dich gar nicht so“, verlieren außerdem den Zugang zu sich selbst. Häufig wird hier der Grundstein für psychische Probleme im Erwachsenenalter gelegt. Seelische Erkrankungen, wie Burnout oder Depression haben ihren Ursprung häufig in der Kindheit und stehen in Zusammenhang mit der eigenen Gefühlsregulation“ (siehe auch Trösten, nicht ablenken!).

Empathisches Begleiten: Beschreiben statt bewerten

Wenn ein Kind weint und unglücklich ist, braucht es ein verständnisvolles Gegenüber, auch dann, wenn es sich um ein „selbstverschuldetes“ Missgeschick handelt wie einen zerbrochenen Teller. Statt ein vorwurfsvolles „Pass doch besser auf!“ oder „Jetzt hör endlich auf zu weinen!“ ist es besser zu reflektieren: „Ohje, dir ist der Teller runtergefallen! Du hast dich mächtig erschrocken und jetzt bist du ganz traurig deswegen!“

Wenn es uns gelingt, solche Situationen wertfrei zu beschreiben, helfen wir unserem Kind nicht nur, das Erlebte und seine Gefühle besser zu verstehen. Es fühlt sich gleichermaßen von uns verstanden – Ernst genommen und in seinem Kummer erkannt.

Was hindert uns am liebevollen Umgang mit unseren Kindern?

Die Klassiker meiner Kindheit lauten: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ oder „Bis du verheiratet bist, ist es wieder verheilt“.

Ich fragte mich oft, wann wir damit angefangen haben. Mit dem Leugnen und dem ganzen Wegreden? Dem „Stark-Sein-Müssen“?

Vermutlich müssten wir dafür sehr tief in die Geschichte zurückreisen. Ein greifbareres Beispiel finden wir in der Zeit des Nationalsozialismus. Und spätestens seitdem zieht es sich durch, von Generation zu Generation. In diesem Zusammenhang fällt oft der Name Johanna Haarer. Eine Ärztin, die Mütter seinerseits in fragwürdigen Ratgebern dazu aufgefordert hat, die Bedürfnisse ihrer Babys gezielt zu ignorieren. Sie sollten gute Soldaten für den Führer werden – dabei waren Gefühle nur störend.

Auch heute geht es oft nur ums Funktionieren. Nicht für den Führer, aber für die Leistungsgesellschaft, in der wir leben. Es zählen Stärke und Durchhaltevermögen.

Das beginnt schon bei der Eingewöhnung im Kindergarten. Unsere beispielsweise sollte möglichst straff ablaufen. Als mein Sohn beim Wechsel von der Nestgruppe in die große, gemischte Gruppe bitterlich geweint hat und ich ihn so nicht dort lassen wollte, hieß es, ich könne mich nicht trennen. Dabei sei es ja nur der Wechsel von einem Gruppenraum in einen Anderen, den Flur ein Stück weiter runter und deshalb nicht weiter dramatisch. Neue Umgebung, neue Kinder, neue Erzieher – und das direkt im Anschluss an drei Wochen Exklusivzeit in den Sommerferien zu Hause mit Mama und Papa. Ich fand das durchaus dramatisch. Trotzdem wird uns immer wieder vermittelt: Da müssen die Kinder jetzt durch!

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Warum Trösten (inkl. körperlicher Nähe) so wichtig ist

Aber meine Kinder müssen keine Indianer mehr sein. Seit dem Spaziergang damals spreche ich meinen Kindern ihre Gefühle nicht mehr ab, sondern aktiv zu: „Ich sehe, dass es dir schlecht geht! Das tut bestimmt weh! Komm mal her!“ Und dann tue ich das, was in so einer Situation gesetzlich festgelegte Tröste-Vorschrift sein sollte: Pusten und Küssen!

Denn auch körperliche Nähe und Liebkosungen gehören zum Trösten dazu. „Wir wissen es doch eigentlich selbst: Wenn es uns nicht gut geht, hilft es oft, von einem Menschen in den Arm genommen zu werden. Es ist nicht nur das Gefühl, dass jemand da ist für uns, sondern die Berührung löst auch wirklich etwas in unserem Körper aus. Durch liebevolle Berührungen werden im Gehirn Cortisol-Rezeptoren stimuliert, wodurch Stresshormone abgebaut werden können. Sogar liebevoller Blickkontakt löst bereits eine solche Reaktion aus. Fehlt die liebevolle Zuwendung aber längerfristig, entwickeln Kinder sogar weniger Cortisol-Rezeptoren, d.h. sie können sich generell schwieriger beruhigen. Auch weniger Dopamin- und Opiatrezeptoren, die für Freude und Belohnung zuständig sind, werden ausgebildet und das Kind empfindet insgesamt weniger Freude. Sind Kinder gestresst oder ängstlich, können sie weniger gut neue Informationen aufnehmen: das Lernen ist erschwert“ (siehe auch Ist doch nicht so schlimm! Ist es doch!)

Trösten heißt, starke Gefühle aushalten zu können

Wenn wir keine Ablenkungsmanöver benutzen und die Gefühle unserer Kinder einfach fließen lassen, brauchen wir oft viel Geduld. Gefühlsausbrüche kleiner Kinder können dauern. Laut werden. Vielleicht auch unangenehm. Weil wir uns beobachtet fühlen und unter Druck etwas dagegen zu tun. Weil es uns weh tut, unser Kind so leiden zu sehen. Aber auch weil wir vielleicht selbst den Zugang zu unseren Gefühlen verschlossen haben und emotionale Stürme bei unseren Kindern deshalb schlecht aushalten können.

Doch wenn wir es schaffen, unser Kind in solch schwierigen Situationen ruhig zu begleiten – uns vielleicht einfach daneben setzen und warten, bis der Sturm vorübergezogen ist, dann spürt es unsere bedingungslose Liebe im vollen Umfang. Übrigens ein Grundpfeiler dafür, dass unser Kind ein positives Selbstwertgefühl und gesunde Selbstliebe entwickeln kann.

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Und weil es so wunderbar passt an dieser Stelle noch ein großartiges Zitat von Dr. Eckart von Hirschhausen (deutscher Moderator, Arzt und Autor von Wunder wirken Wunder: Wie Medizin und Magie uns heilen*)

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Gastautorin Jasmin Lapp
Dieser Artikel stammt aus der Feder von Jasmin Lapp, Jahrgang 1984. Früher: Hörfunk-Moderatorin. Heute: Freie Journalistin und Tagesmutter. Vor Allem aber: Mutter. Von einem Sohn (2015) und einer Tochter (2018) ♥️

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