Ein ergreifender Artikel, der unter die Haut geht. Mit Happy End…
Viel Spaß beim Lesen!
Kathrin
„Ich habe mein Kind schreien lassen!“. Dieses Geständnis einer Bloggerin hat mich stark getroffen. Nicht, weil ich sie deswegen verurteilen würde. Nein. Es hat mich getriggert. Ich war selbst an dem Punkt, an dem ich mein Baby, das kleine hilflose, ängstliche Wesen, schreien ließ. Nicht, weil ich davon überzeugt war. Nicht, weil ich wollte, dass sie lernt allein zu sein. Sondern, weil ich am Ende war.
Die Schreie bohren sich ins Herz
Wer sein kleines Baby schreien lässt, muss verzweifelt sein. Stark verzweifelt. Oder aber kalt wie ein Eisblock, denn ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass einem nicht das Herz bricht, wenn man die elenden Schreie des eigenen Babys hört. Sie bohren sich tief in das Herz und lassen es langsam und qualvoll ausbluten. So zumindest ist es mir ergangen, als wir versucht haben zu ferbern.
Heute schäme ich mich dafür. Schäme mich dafür, nicht früher eingegriffen zu haben. Schäme mich, nicht sofort auf meinen Instinkt reagiert zu haben. Für meine Verzweiflung schäme ich mich allerdings nicht. Ich denke an diesen Punkt kommt jede Mama einmal. Jede Mama wird etwas tun, was sie bereuen wird. Was sie unendlich traurig machen wird. Vielleicht nicht sofort, vielleicht nicht nach einem Tag oder einer Woche. Aber irgendwann…
Wie es dazu kommen konnte
Die Situation mit unserer Tochter war ziemlich verfahren. Sie war unser erstes Kind. Ich hatte weder von „Attachement Parenting“ noch „Bedürfnissen“ gehört. Im ersten Jahr habe ich versucht zu funktionieren und habe andere Mütter, die von Babyplüsch erzählt haben nahezu gehasst. Meine Gedanken waren verdunkelt, meine Emotionen auf Eis gelegt.
Ich hatte Depressionen. Erst Babyblues, dann Wochenbettdepressionen und dann ausgewachsene Riesenmonster, die in meinem Kopf herumgetrampelt sind und mir scheinbar die Fähigkeit rational zu denken und vor allem positiv zu fühlen, genommen haben.
Typisches Schreibaby
Hinzu kam, dass unsere Tochter ein sehr anspruchsvolles Baby war. Umgangssprachlich würde man sie wohl als Schreibaby bezeichnen. Sie schien Koliken zu haben und schrie monatelang von 18 bis 23 Uhr. Fast am Stück. Der Bauch war hart, vielleicht von zu viel Luft, die sie beim Schreien eingeatmet hat. Vielleicht waren es Blähungen. Wir haben jeden Ratschlag angenommen und versucht diese Blähungen zu bekämpfen: Tragen, schmieren, massieren, Zäpfchen. Wir fuhren mit ihr nachts im Kreisverkehr und schoben sie stundenlang mit dem Buggy durch die Wohnung – es half nichts. Nur aushalten.
Allerdings konnte ich es nicht mehr aushalten. Ich war ein Wrack. Die Nerven lagen blank. Vom einen auf den anderen Tag war das Schreien weg. Einfach so. Aufatmen. Ich dachte, es wäre nun endlich vorbei. Dann kamen die Schlafprobleme.
Das Verständnis kam leider zu spät
Die Maus wachte nachts manchmal alle 20 Minuten auf. Heute weiß ich, dass sie nur geclustert hat. Sie hat Nähe und Verständnis gebraucht, ich habe mit Ablehnung und Überforderung reagiert. Was ich nicht wusste: Dass es normal ist. Das konnte mir damals keiner sagen.
Bei den U-Untersuchungen beim Arzt gab es einen Fragebogen für Eltern. Man sollte die aktuelle Stimmung und den Erschöpfungsgrad ankreuzen. Ich habe uns ins Mittelfeld eingeordnet und tapfer weitergemacht. Ich wollte nicht als Versager-Mama abgestempelt werden. Habe ich mich ohnehin schon miserabel gefühlt. Depressionen sei Dank.
Der Kinderarzt empfahl zu Ferbern
Nachdem das Schlafen immer mehr zum Problem wurde (sie schlief nicht durch, aber Babys schlafen doch in dem Alter durch!), entschieden wir uns dazu, das Baby auszuquartieren. Immerhin muss das Baby ja durchschlafen. So will es das Gesetz. Sie kam ins eigene Bett. Mit verhaltenem Erfolg.
Sie hat schließlich unsere Nähe gesucht. Wie soll es helfen, sie dann wegzuschubsen? Das weiß ich heute alles. Aber damals… Die nächste U-Untersuchung stand an. Ich habe angekreuzt, dass wir am Ende sind. Der Arzt ging im Gespräch darauf ein.
Hilfe bei der Schreiambulanz? Abgelehnt
Meiner Frage, uns einen Attest für die Schreiambulanz auszustellen, kam der Kinderarzt leider nicht nach. Allerdings benötigt man dieses, da man vorher nicht bei unserer Schreiambulanz angenommen wird. Die Verzweiflung wuchs an. Stattdessen empfahl er uns, das Baby zu ferbern.
„Ein glückliches Baby braucht ausgeruhte Eltern. Bei meinen Kindern half es auch. Nach drei Tagen haben Sie Ruhe!“
Eine Verzweiflungstat
Drei Tage und danach sorgenfrei? Vom Ferbern hatte ich zuvor gehört und es abgelehnt. Aber dennoch war die Verlockung groß. Mein Körper fühlte sich an wie eine leere Hülle, die nur noch auf Not-Energie lief. Nach Schlafentzug, der einer Folter gleichkam, keinerlei Hilfestellung oder Verständnis, war ich einfach so sehr am Ende, dass ich dem Vorschlag zugestimmt habe.
Mitunter auch, weil die Stimmung zwischen meinem Mann und mir immer schlechter wurde. Die Ehe war gefährdet. Wir waren beide gestresst. Aggressiv zueinander. Auch er litt unter dem Schlafmangel, meinen depressiven Stimmungen und dem immerzu weinenden Baby. Wir hatten uns noch nicht in die Elternrolle eingefunden. Waren einfach überfordert und fanden bei Freunden und Verwandten keine Hilfe. Er hatte schlichtweg die Nase voll und wollte es durchziehen. Ich zog mit.
Stumpfe Messer bohren sich in meine Brust
Wir haben unsere Tochter also ins eigene Bettchen gelegt. Sie fing an zu wimmern, wollte auf den Arm. Wir haben es ignoriert, sind stattdessen aus dem Zimmer. Haben kurz gewartet. Ich bin anschließend ins Zimmer, habe ihr den Schnuller gegeben, sie beruhigt und bin erneut heraus.
Den Vorgang konnte ich dreimal wiederholen. Dann schrie sie herzzerreißend. Ich konnte es nicht ertragen. Ihre Schreie bohrten sich wie stumpfe Messer in meine Brust. Schnürten mir die Kehle zu.
Mein Körper schickte unmissverständliche Warnsignale
Ich konnte nicht atmen, fing an zu zittern. Mein ganzer Körper signalisierte mir: STOPP! Hör auf, Das ist falsch. So, so falsch. Und ich bin überglücklich, dass ich diese Warnsignale meines Körpers verstanden hatte. Ich habe sie an mein Herz gedrückt, im Arm gewogen und so – begleitet von meinen Herzschlägen und Tränen – in den Schlaf begleitet.
So sollte ich sie noch viele Abende in den Schlaf begleiten, aber es war plötzlich in Ordnung. Ich habe sie nie wieder schreien lassen. Nie wieder. Und ich weiß, dass es richtig war! Kein Baby sollte sich in den Schlaf weinen müssen. Kein Baby sollte nach seiner Mutter schreien müssen.KEINES!
Diese grausame Erfahrung – für mich UND das Baby – hat mir gezeigt, dass ich meinen Mutterinstinkten vertrauen kann und muss. Vielleicht nicht immer und überall, aber sehr wohl in ernsten Situationen.
Mit der Zeit fiel der Groschen
Erst jetzt, Jahre später, erkenne ich, was ich getan habe. Erst jetzt verstehe ich, warum mein Baby so war. Heute würde ich ganz anderes reagieren. Heute stütze ich mich auf Geduld, Verständnis und Annehmen. Das sind meine Säulen, die mir helfen, meine Mutterrolle so gut es geht zu bewältigen.
Damals hatte ich diese Säulen nicht. Da baute ich auf Erfahrungen aus der Kindheit. Ich hatte keine Anlaufstelle, keine Hilfe. Ich würde mir wünschen, dass junge Eltern besser aufgeklärt werden. Dass ihnen Unsicherheiten genommen werden. Dass ihnen klar gemacht wird, dass ihr Baby völlig normal ist und es in Ordnung ist, Hilfe zu suchen. Ich wünsche mir, dass Eltern zugehört wird, dass sie Verständnis erfahren.
Wir müssen unsere Perspektive ändern
Aber damit das alles erfüllt wird, muss zuerst der Blick auf Kinder und Babys geändert werden. Weg von kleinen funktionierenden Maschinen, die man reparieren muss. Hin zu fühlenden, wunderbaren Wesen. Der Weg ist noch sehr lang. Das merkt man schon daran, dass Methoden wie Ferbern, Drohen und Bestrafen noch immer populär sind. Sie sind Alltag.
Im Umfeld kenne ich niemanden, der annähernd bindungsorientiert/bedürfnisorientiert unterwegs ist (außer Inke von Bindungsträume, die ums Eck wohnt). Die meisten Eltern erwarten einfach, dass ihre Kinder funktionieren. Individuelle Bedürfnisse sind zweitrangig. Ich verstehe das ja auch. Ich war auch mal so. Doch meine große Tochter lehrte mich über den Tellerrand hinaus zu sehen. Die Perspektive zu ändern. Sie lehrte mich mit dem Herzen zu sehen. Dafür bin ich ihr dankbar und ich hoffe, dass sie mir für all meine Fehler Verständnis entgegenbringen kann.