Plötzlich Mama von zwei Kindern

Kathrin Elternsein 24 Comments

Ich glaubte allen Ernstes, ich wäre auf das zweite Baby vorbereitet. Weil ich mich noch gut an die anstrengende erste Zeit mit einem Neugeborenen erinnern konnte, weil ich mit Chaos in den ersten Tagen rechnete und einer mäßigen Begeisterung unseres Mädchens.

Aber es ist ein Unterschied, ob ich mir das Ganze ausgeschlafen und bei bestem, körperlichem Befinden und vor allem theoretisch vor Augen führe oder ob ich plötzlich mit (Nach-)Geburtsschmerzen, akutem Schlafmangel und heftiger Hormonumstellung mitten in dieser Situation stecke.

So ein Gefühls- und Gedankenchaos wie in den letzten Tagen erlebte ich seit der Geburt unseres Mädchens nicht mehr. Meine Geburtsverletzungen waren zwar bei weitem nicht so schlimm wie beim ersten Mal, aber schlimm genug, dass ich über eine Woche lang nicht vernünftig sitzen konnte. Ich fühlte mich total schlapp und müde und hätte am liebsten die ganze Zeit gelegen und geschlafen.

Aber da ist nun einerseits der Bub, der vom zweiten Tag an regelmäßig und in kurzen Abständen seine Milchmahlzeiten einfordert, der sich leider kaum von Papa beruhigen lässt und am liebsten auf mir wohnt. Und da ist andererseits unser großes, verunsichertes Mädchen, das meine Beachtung und Nähe stärker denn je sucht.

Eine verzwickte Situation, da ich vor allem in den ersten Tagen das Bedürfnis verspürte, mich ausschließlich um mich zu kümmern. Doch das ging natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Ich habe jetzt nicht nur ein Kind, sondern zwei. Zwei Kinder, die meine volle Aufmerksamkeit fordern. Zwei Kinder, die oft zeitgleich nach mir schreien rufen. Zwei Kinder, die 200 Prozent Mama fordern, obwohl ich nur zur Hälfte einsatzbereit bin.

Und das ist der Punkt, der mich am allermeisten bekümmerte. Ich lag die ersten Tage brav in meiner Wochenbett-Kuschelhöhle, kaum in der Lage alleine aufzustehen und dabei wollte ich so gerne für den Buben UND für mein Mädchen da sein. Das Baby in Ruhe kennenlernen und beschmusen. Der Tochter den Start ins „Schwestersein“ so angenehm wie möglich gestalten. Ich wollte mich ausreichend um beide kümmern. Gleichzeitig versteht sich.

Doch, wenn der Bub Hunger oder eine volle Windel hat, muss sich das Mädchen gedulden. Bringe ich die Große abends ins Bett oder ruft sie nachts nach mir, muss der Kleine warten. Unser Sohn schreit oft wie wild, wenn er von meinem Körper zu Papas wechselt, was sehr frustrierend ist für uns alle. Und unserem Mädchen bereitet die plötzliche Umstellung Schwierigkeiten – zu Recht wie ich finde.

Denn sie ist es gewöhnt, dass ich die Nachmittage mit ihr gemeinsam verbringe, dass wir nachts eng im Familienbett kuscheln und dass die Milch in meiner Brust ihr gehört. In den letzten Wochen der Schwangerschaft verbrachte ich außerdem extra viel Zeit mit ihr, weil ich wusste, das exklusive Mama-Tochter-Momente nach der Geburt gezählt sind.

Und von jetzt auf gleich ist nichts mehr wie es war. Ich gebe sie an den Nachmittagen zu Familienmitgliedern oder Freunden, nachts schläft sie bei Papa (ich mit dem Buben im Wohnzimmer, weil er so grunzt und seine Schwester damit weckt) und die heißgeliebte Milch muss sie teilen. Ihre Welt steht Kopf, alles ist anders und ich bin so weit weg von ihr wie noch nie zuvor.

Ich versuche die wenige Zeit, die wir hier zu Hause haben, so intensiv wie möglich mit ihr zu nutzen. Aber lesen und basteln ist natürlich bei weitem nicht so spaßig wie gemeinsames, wildes Toben, ungestörtes Kitzel-Kuscheln oder unsere langen Streifzüge an der frischen Luft. Es wird auch noch ein Weilchen dauern, bis ich wieder fit genug für all das bin und davon abgesehen funkt der Kleine regelmäßig dazwischen, selbst wenn wir nur lesen. Denn ich stille ja nach Bedarf.

Unser Mädchen reagierte auf die neue Situation bislang ganz unterschiedlich. An manchen Tagen war sie gut drauf und schien die „Außer-Haus-Unternehmungen“, die ich für sie organisierte zu genießen. Sie schien mich nicht zu vermissen. An anderen Tagen war sie schlecht gelaunt und wütend, baute nur Mist und schlug Thomas und mich bei den kleinsten Kleinigkeiten (z.B. bei Erdbeermarmelade statt Kirsch auf dem Toast).

Dem Bruder gab sie einerseits Küsschen und streichelte ihn vorsichtig. Dann wieder wollte sie, dass er verhungert oder wir ihn zurückgeben. Obwohl diese Äußerungen normal und gesund sind, zerrissen sie mir das Herz. Ihre Eifersucht, Angst, Traurigkeit und Wut sorgte für sehr viele Tränen, bei ihr und bei mir.

Vorerst kein Familienbett!

Meinen Auszug aus dem Familienbett ließ sie nahezu unkommentiert. Sie sagte zwar zweimal, dass ich nicht bei ihrem Bruder (im Wohnzimmer) schlafen soll. Aber da ich sie nach wie vor in den Schlaf stille und wir auch morgens noch wie gewohnt gemeinsam im Schlafzimmer kuscheln und lesen, duldet sie meine Abwesenheit.

Wie sehr sie mich nachts tatsächlich vermisst, merkte ich erst als wir in der 8. Nacht den Versuch starteten, alle gemeinsam im Familienbett zu schlafen. Thomas war der Ansicht, dass wir das probieren sollten und es endete damit, dass unser Mädchen vor lauter Freude und Aufregung förmlich in mich hineinkroch. Dass sie mehr denn je stillen wollte und ab 3 Uhr 1,5 Stunden lang wach war. Fröhlich plaudernd…

Nach dieser Horrornacht (der Bub meldete sich natürlich immer dann, wenn sie gerade eingeschlafen war), wusste ich, dass das Familienbett so nicht für mich funktioniert. Seitdem schlafe ich wieder im Wohnzimmer und hoffe, dass wir bald eine bessere Lösung finden.

Dass das Mädchen nun zumindest eine Zeit lang auf mich verzichten muss, tut mir verdammt weh. Vor allem weil wir uns ja tagsüber kaum sehen und weil der Bub neben mir schlafen darf, während sie ohne mich auskommen muss. Das ist echt zu viel für mein butterweiches Mama-Herz…

Stillen oder nicht stillen? Das ist hier die Frage!

Die schmerzhaftesten Szenen der vergangenen Tage drehten sich jedoch ums Stillen. Unser Mädchen machte in der Schwangerschaft keine Anstalten abzustillen und ich ließ sie, denn ich hoffte, dass das Tandemstillen die Beiden zusammenschweißt. Ich irrte mich nicht, denn beim gemeinsamen Trinken an der Brust liebkost sie ihren Bruder unentwegt und wirkt dabei entspannt und zufrieden.

Das Stillen schürt aber auch negative Gefühle und zwar dann, wenn ich ihr die Brust verweigere. Das geschah bereits einige Male, wenn sie beispielsweise nachts dauernuckeln oder am Tage dauerstillen wollte. Sie schluchzt und protestiert dann so tieftraurig, dass ich es kaum aushalte und ebenfalls Rotz und Wasser heule. Ich biete ihr stattdessen Kuscheleinheiten an oder Buchlesen und halte sie ganz fest. Sofern sie es zulässt, denn manchmal ist sie so wütend, dass sie niemanden an sich ran lässt.

Von Wut und Aggressionen

Wut ist überhaupt ein großes Thema seit der Geburt unseres Sohnes. Und Aggressionen. Unser Mädchen verprügelt mit Vorliebe Thomas. Meist einfach so.

Ich habe es zuerst nicht verstanden, bis mir ein trauriges Licht aufging. Wieder einmal, denn bereits vor einigen Monaten als sich unser Mädchen so aggressiv Gleichaltrigen gegenüber verhielt, kam ich zu dieser Erkenntnis.

Geht es mir nicht gut, lasse ich meine üble Laune an Thomas aus. In den letzten Tagen hatte ich Schmerzen, ich war müde und gefrustet, weil ich noch nicht mal die kleinsten Kleinigkeiten alleine machen konnte. Thomas versuchte mir unter die Arme zu greifen so gut er konnte, aber er war mir zu langsam und ich verstand nicht warum er sich mit den Dingen, die ich sonst immer „nebenbei“ bewältige so schwertut.

Ich wollte mich doch nur ein paar Tage ausruhen und erwartete von ihm, dass er sich zusammenreißt und meinen Part ohne Murren übernimmt. Es fiel mir schwer zu akzeptieren, dass er Thomas und nicht Kathrin ist (und mit der Situation überfordert) und so maulte ich ihn unentwegt an. Unser Mädchen übernahm mein Verhalten und setzte mit ihren kleinen Fäusten auch noch eins drauf.

Familienheultag

An Wochenbetttag Nr. 9 (der Tag nach unserem Familienbett-Experiment) erreichten wir den absoluten Tiefpunkt. Irgendwie war alles blöd – vor allem unsere Stimmung. Schlafmangel ist böse!

Wir weinten, motzten und lagen uns am Ende in den Armen. Weil ich es endlich schaffte, mit unserem Mädchen über die vertrackte Situation zu sprechen. Ich erklärte ihr, dass es nicht fair ist, wenn wir unsere schlechte Laune an Papi auslassen. Dass wir bei Frust besser unser Wutkissen benutzen. Dass wir doch eine kleine Familie sind und es wichtig ist, dass wir aufeinander aufpassen. Dass es uns allen nur dann gut geht, wenn wir gut zueinander sind. Dass wir uns nicht anschreien oder gar schlagen dürfen, weil wir uns doch lieb haben…

Ich versicherte ihr außerdem, dass ich ihr so viel Liebe und Nähe schenken werde wie ich kann. Dass sie immer mein großes Mädchen bleiben wird, auch wenn es im Augenblick etwas drüber und drunter geht. Dass wir diese turbulente Zeit gemeinsam meistern werden und dass Papa und ich versuchen für sie da zu sein, wann immer sie uns braucht.

Ich ließ sie aber auch wissen, dass sie aktuell mehr fordert, als ich in der Lage bin zu geben. Dass ich sie z.B. nicht wie ein kleines Baby rund um die Uhr stillen kann, weil ich sonst nicht zu Kräften komme…

Als ich sie an diesem Familienheultag ins Bett brachte, sagte sie: „Mami, das war ein blöder Tag heute!“ Ich nickte nur und versicherte ihr, dass es bald wieder bessere Tage geben wird.

Auf Regen folgt Sonnenschein

Interessanterweise wachte sie am nächsten Morgen mit extrem guter Laune auf und schien wie ausgewechselt. Hatten die Tränen eine bereinigende Wirkung oder gar meine Worte?! Sie lief jedenfalls zu ihrem Brüderchen und sagte mir zum ersten Mal, wie lieb sie ihn hat. Ich war baff!

Von da an wollte sie nicht jedes Mal an die Brust, wenn der Knabe stillte und sie wirkte insgesamt viel entspannter und ausgeglichener. Sie suchte öfter seine Nähe und gestern schliefen die Beiden sogar Händchen haltend auf mir ein. Ein wundervolles Gefühl, diese beiden warmen Körper angeschmiegt an meinen und ein toller Anblick, diese Zufriedenheit in ihren kleinen Gesichtern.

Trauerspiel Abstillen

Ich wünsche mir jetzt nur noch, dass wir bald alle wieder vereint im Familienbett kuscheln können (zumindest solange unser Mädchen das noch möchte). Aber das geht nur, wenn sie nachts nicht mehr stillt.

Das Tandemstillen an sich ist kein Problem. Meine Brüste produzieren soviel Milch, dass ich locker noch zwei weitere Kinder ernähren könnte. Aber zwei Kinder nachts zu stillen, überfordert mich, weil ich dann nicht zur Ruhe komme.

Gerne stille ich unser Mädchen noch zum Einschlafen und früh am Morgen. Oder von mir aus auch tagsüber mal, wenn ihr Bruder gerade trinkt. Aber aktuell wacht sie nachts mindestens einmal auf und braucht mich, um wieder einzuschlafen (ich stille sie dann im Schlafzimmer und gehe anschließend zurück ins Wohnzimmer).

Meine große Hoffnung war, dass sie irgendwann von ganz alleine abstillt. Ohne Tränen und Protest. Doch den Gefallen tat sie mir nicht. Deswegen muss ich das Stillen jetzt reduzieren, denn Mutter von zwei Kindern zu sein, bedeutet für mich noch mehr als sonst auch auf meine Bedürfnisse zu achten. Ich möchte beiden Kindern gerne alles geben, was ich zu geben habe. Aber vor allem beim Thema Schlafen und Stillen stoße ich gerade hart an meine Grenzen.

Das Abstillen in der Nacht übernimmt Thomas. Dafür besorgte ich eine „Lichtuhr“ (diese zeigt ihr, wann sie wieder stillen darf) und eine Cloud-B Schildkröte (mit Licht und Meeresrauschen). Letztere soll ihr helfen, ohne mich wieder in den Schlaf zu finden.

Heute soll das Abstillexperiment mit diesen „Mama-Ersatz-Produkten“ starten und während ich sie über mein Vorhaben aufklärte, kullerten bei mir schon wieder die Tränen. „Warum bist Du traurig?“ fragte sie mich. „Weil ich gerne für Dich in der Nacht da sein möchte, das im Augenblick aber nicht kann!“ erwiderte ich schluchzend.

Ich kann kaum aufhören zu weinen, weil sie mir so unfassbar leid tut. Jahrelang konnte ich sie emotional in jeder Lebenslage auffangen und jetzt muss sie plötzlich so einen großen Schritt alleine machen – ein großes Mädchen sein – obwohl sie selbst noch so klein ist…

Wir hauen nicht!

Ich bin nicht sicher, ob sie die Tragweite meiner Abstill-Erklärungen heute verstanden hat. Sie schien nicht richtig zuzuhören oder zuhören zu wollen, als ich ihr erzählte, wofür das Schaf und die Schildkröte da sind. Aber ich vermute, dass sie ahnt, was auf sie zukommt, denn sie attackierte mich mit ihren Fäusten und sagte mir, dass ich blöd bin. Autsch!

Ich weiß nicht, wer von uns beiden gerade mehr unter der aktuellen Situation leidet. Ich kann sie jedenfalls sehr gut verstehen und dementsprechend darf sie all ihre Ängste, Sorgen, Bedenken, ihren Frust, Ärger und ihre Wut gerne ausleben. Das ist mir lieber, als wenn sie alles in sich hinein frisst. Trotzdem möchte ich nicht, dass sie uns oder andere Personen schlägt.

Haut sie mich, sage ich ihr, dass ich das nicht will und dass ich gehe, wenn sie mir weh tut. Der Hinweis reicht in der Regel aus. Lässt sie nicht von mir ab, wechsle ich den Raum. Thomas bevorzugt eine andere Strategie, wenn sie ihn haut. Er nimmt sie ganz fest in den Arm und sagt ihr wie lieb er sie hat. Das machte sie anfangs noch wütender, verhinderte aber, dass Thomas unnötig sauer auf sie wurde.

Heute nahm ich sie – als sie wo wütend auf mich war – auch sehr oft in den Arm und ich drückte sie, während ich an die bevorstehenden Nächte dachte und erfolglos gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfte. Ich wünschte wirklich, ich hätte eine bessere Lösung. Eine, die nicht so viel von ihr abverlangt…

Schlussgedanke

Die liebe Franzi Karagür schrieb mir vor kurzem: „Plötzlich Mama von zwei Kindern zu sein ist wie eine Achterbahnfahrt, bei der du nie weißt, was hinter der nächsten Kurve passiert“ (siehe „Herzlichen Glückwunsch zum zweiten Nestling“)Und Recht hat sie!

Seit der Geburt unseres Sohnes ist jeder Tag ist eine große Überraschung und meine Gefühle spielen gnadenlos verrückt. Mein Herz schmilzt, wenn unser Mädchen ihr Brüderchen stürmisch mit „Ich hab Dich so lieb!“ begrüßt und im nächsten Moment zerbricht es, weil ich ihr nicht mehr die Mutter sein kann, die ich in den letzten 3,5 Jahren für sie war. Mein Herz hüpft vor Freude, wenn ich unseren putzigen Knaben betrachte (und ja, man kann das zweite Kind so lieben wie das erste) und dann pocht es ganz wild, weil ich mich der neuen Verantwortung und den doppelten Erwartungen nicht gewachsen fühle.

Ich bin sicher, dass dieses emotionale Auf und Ab meinen Alltag auch noch in den nächsten Wochen bestimmen wird. Dass ich mich weiterhin wie ein Flummi zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt bewegen werde. Aber ich glaube auch, dass sich dieses Anfangschaos – genau wie damals beim ersten Kind – nach einiger Zeit legen wird und sich das „Zweifachmamadasein“ irgendwann ganz normal und selbstverständlich anfühlt.

 

 

Newsletter Kathrin

Ich bin überglücklich, dich auf diesem Wege mit Neuigkeiten und kleinen Aufmerksamkeiten versorgen zu dürfen. Trage dich in den Nestling Newsletter ein.