Eure Kathrin
Meine Tochter ist eine eigenständige Persönlichkeit, die ganz genau weiß was sie will, die gerne in die Schule geht und nachmittags meistens gut gelaunt nach Hause kommt. Man weiß nur nie wie lange diese Stimmung anhält, denn sie kann unglaublich launisch sein. Es soll Menschen geben, die nun behaupten werden, das hätte sie von mir.
Nachdem wir die Eiskönigin und Conni-Phase schwerpunktmäßig ein wenig hinter uns gebracht haben, sind Bibi und Tina und Bibi Blocksberg im Allgemeinen gerade voll cool. Sonea bastelt gerne und ich staune immer wieder darüber was für kreative Sachen ihr mit ein bisschen Pappe, Papier, Kleber und Schere einfallen. Sie hat eine beeindruckende Phantasie. Das stelle ich auch immer wieder fest, wenn ich sie beim Playmobil spielen heimlich beobachte oder mal wieder eine Kasperle-Aufführung meiner Kinder bekomme. Mit ihrem Bruder streitet sich Sonea gefühlt von der ersten Minute, die sie wach ist, bis ihr abends dann die Augen zufallen. Aber zwischendurch ertappe ich sie auch schon mal wie sie sich in den Armen liegen und scheinbar wirklich froh sind einander zu haben.
Ach ja, meine Tochter Sonea hat das Down-Syndrom. Das teilte mir ein Kinderarzt einen Tag nach Soneas Geburt mal eben ganz nebenbei mit. Nicht, dass ich mir vorstellen kann, dass so eine Diagnose so überbracht werden kann, dass sich die Eltern darüber freuen. Es ist eine scheiß Situation für alle Beteiligten. Aber einen kleinen Funken Empathie hätten wir uns damals schon gewünscht.
Und auch, wenn ich die ganze Schwangerschaft über so ein Gefühl gehabt habe, das mich immer wieder unendlich traurig machte, wenn ich zu sehr daran dachte. Und obwohl mir der Gedanke ans „Down-Syndrom“ am Abend von Soneas Geburt einen kurzen Moment durch den Kopf schoss als mein Mann und unsere Familien gegangen waren und ich alleine mit meiner winzig kleinen Tochter im Arm auf dem Bett saß. Trotzdem hauten mir die Worte des Arztes am nächsten Morgen den Boden unter den Füßen weg. Ab diesem Moment war nichts mehr wie vorher. Ich fühlte mich wie in Trance und wären meine Augenlieder nicht dick gequollen und völlig wund vom Dauerweinen, hätte ich mich die ersten Wochen wahrscheinlich gar nicht mehr gespürt.
Immer wieder stellte ich mir die Frage warum ausgerechnet wir ein behindertes Kind bekommen mussten. Warum nicht die Kettenraucherinnen, die Junkies oder all diejenigen, die sich die ganze Schwangerschaft nicht um ihre eigene und vor allem nicht um die Gesundheit ihres Kindes geschert haben. Was hatte ich falsch gemacht, dass ich nun auch noch ein behindertes Kind zur Welt bringen musste. Die Monate vor der Geburt waren kräftezerrend genug gewesen.
Auf der einen Seite war die Zeit im Krankenhaus kaum auszuhalten gewesen, aber vor dem, was uns zu Hause erwarten würde, hatte ich auch große Angst. Trotzdem, ich wollte nach Hause und googeln. Ich wollte alles ergoogeln und wissen was uns in den nächsten Jahren erwarten wird. Ich hatte Ratgeberbücher für das handelsübliche Baby gelesen. Die Anleitung für das Standardbaby hatte ich bereits ausgiebig studiert und beherrschte ich (zumindest in der Theorie). Aber nun hatte ich eins mit Sonderausstattung und ein paar komplizierten Extra-Features. Im Krankenhaus wurden wir immer wieder vertröstet. Man wolle uns noch Infomaterial geben… aber irgendwie passierte nichts.
Diese fünf Tage im Krankenhaus waren mitunter die schlimmsten in meinem Leben. Und die Worte des Arztes, der die Organe unseres Kindes schallte als sei es irgend so ein Forschungsobjekt, während meine süße Tochter aufgeregt zappelte und mit ihren großen, dunklen Augen neugierig die Welt aufsog, als der Arzt sagte „Mit ein wenig Glück wird sie die Intelligenz eines Schwachsinnigen haben“.
So etwas hört man doch gerne, nachdem man gerade erst einmal verdauen musste, dass das eigene Kind behindert ist. Und noch schlimmer als die Aussage war, dass mein Mann und ich beide noch von der Diagnose so unter Schock standen, dass wir uns nach der Untersuchung erst einmal anschauten und einander fragten, ob wir uns diese Worte nur eingebildet hatten.
Die erste Zeit war wie ein Albtraum, in dem man immer wieder wach wurde und doch nicht aufwacht.
Ich fühlte mich so hilflos nach der Geburt, weil ich dachte, dass ich nun unbedingt etwas tun muss, nur wusste ich nicht was. In den vergangenen Tagen hatte ich immer wieder gehört „mit der richtigen Förderung wird Dein Kind fast wie jedes andere Kind auch sein…“. Ich wusste, dass mein Kind wahrscheinlich Krankengymnastik, Logopädie und vielleicht noch ein paar andere Therapien brauchen würde. Nur wusste ich nicht wo ich mich dafür am besten hinwende.
Dann kam ein früherer Nachbar meines Mannes vorbei, der selbst einen Sohn mit Down-Syndrom hat. Er brachte uns die Geschichte von der Reise nach Holland mit und außerdem die Telefonnummer von der Praxis Rodenacker. Das war damals unser erster Lichtblick, neben all den wunderschönen Momenten mit unserer zauberhaften Tochter, die uns den Start so angenehm wie nur möglich machte. Sie war das perfekte Anfängerbaby.
Google war unser stetiger Begleiter in den ersten Monaten und was wir auf unsere Fragen und Stichwörter ausgespuckt bekamen, war nicht wirklich ermutigend. Aber dann stolperten wir über die Bilder von Conny Wenk, eine Fotografin, die selbst eine Tochter mit Down-Syndrom hat und Kinder mit dem Down-Syndrom fotografierte. Ich sah diese Bilder und begann zu hoffen. Ich hoffte, dass meine kleine Tochter genau so zauberhaft werden würde, wie diese Kinder, die mich voller Lebensfreude von ihren Bildern anlächelten.
Diese Bilder nahmen mir meine Ängste und ließen mich nach vorne schauen. Ich freute mich auf unsere Zukunft, auch wenn ich mich darauf einstellte, dass sie völlig anders sein würde, als geplant. Ein Gedanke, der mir in den ersten Monaten immer wieder die Tränen in die Augen trieb.
Sonea machte es uns sehr leicht. Sie war das liebste Anfängerbaby, das man sich wünschen konnte. Und es war einfach unmöglich sie nicht zu lieben. Aber an meiner Liebe zu ihr hatte ich auch keinen Tag Zweifel.
Das Gleichnis von der Reise nach Holland beschreibt es ganz gut. Man plant eine Reise nach Italien, ist voller Vorfreude, stellt sich vor wie es sein wird und bekommt plötzlich mitgeteilt „Willkommen in Holland“. Man denkt vielleicht erst an einen schlechten Scherz und wenn man dann langsam realisiert, ist man enttäuscht, desillusioniert und ja – es fühlt sich zunächst an wie ein Albtraum und jeden Morgen, den man aufwacht (sofern man überhaupt geschlafen hat), stellt man fest, dass es kein Traum sondern Realität ist.
Aber das geht vorbei. Man braucht sicherlich seine Zeit bis man sich mit Holland arrangiert hat, obwohl man Italien erwartete und sicherlich gibt es auch immer wieder Momente, in denen man einen Anflug von Traurigkeit verspürt, wenn man in Holland Italienern begegnet. Ach, bei dem Vergleich muss so schmunzeln. Denn mein Patenkind ist Italienerin, genau so alt wie Sonea, und es gab eine Zeit, in der ich dieses Kind nicht sehen konnte. Es war die Zeit, in der mir so richtig vor Augen geführt wurde, dass sich Sonea langsamer entwickeln wird, als es die anderen Kinder tun.
Es war als würde ich eine Rennmaus mit einer Schnecke vergleichen. Und so idiotisch es ist, aber ich wollte nicht einsehen, dass die Schnecke einfach kein Rennen gegen eine Rennmaus gewinnen kann. Nicht, dass ich unbedingt wollte, dass mein Kind dieses Rennen gewinnt oder immer das schnellste, klügste und einfach beste Kind ist. Aber es fühlte sich einfach so ungerecht an, dass ich so viel in die Förderung ihrer Entwicklung steckte und (gefühlt) proportional so wenig dabei rum kam.
Aber irgendwann realisierte ich, dass Sonea einfach die Gewinnerin der Herzen ist. Sie hat so viel Persönlichkeit und eine Wahnsinns Ausstrahlung. Sie liebt das Leben mit jedem Atemzug und jeden Morgen startet sie völlig vorbehaltlos in den Tag. Ich bewundere ihre Haltung sehr und habe durch Sonea in den letzten Jahren viel über das Leben gelernt. Mehr als in all den Jahren vor ihrer Geburt.
Oft werde ich gefragt, ob ich nicht mal einen Gastartikel schreiben könnte, frei nach dem Motto „10 Dinge, die sie über Menschen mit Down-Syndrom wissen sollten“ oder aber „Wie sollte ich mich einem Menschen mit Down-Syndrom gegenüber verhalten“.
Nun, in erster Linie wünscht sich jeder Normalität. Ich kann nicht sagen was richtig oder was falsch ist. Denn wie soll ich jemanden raten wie man sich richtig verhält, wenn ich in manchen Situationen auch gar nicht weiß wie ich reagieren soll, wenn man sich unserer Tochter gegenüber daneben verhält.
Ich habe für die allermeisten Reaktionen Verständnis und die Toleranzschwelle ist hoch. Auch ich hab mal ein Leben ohne behinderte Tochter geführt und auch ich hatte Berührungsängste und wusste nicht was das richtige Verhalten ist.
Hilfreich ist es auf jeden Fall jemanden nicht auf seine Behinderung oder einfach nur Besonderheit zu reduzieren. Meine Tochter ist so viel mehr als ein Down-Syndrom. Sie ist sicherlich auf dem ersten Blick anders, aber sie hat so viel Persönlichkeit, dass ihre Chromosomen-Besonderheit nicht das herausstechendste Merkmal sein sollte.
Heute ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Ich wünsche allen Menschen mit dem Down-Syndrom einen richtig coolen Tag. Und ihren Familien und Freunden auch.