Nicht jede Mutter will stillen. Das mag egoistisch erscheinen und den Eindruck erwecken, es mangele ihr an Mutterliebe. In den meisten Fällen jedoch steckt eine tiefer liegende Ursache dahinter, ohne dass den betroffenen Frauen diese Zusammenhänge bewusst sind.
In der nachfolgenden Geschichte berichtet eine Mutter (möchte namentlich nicht genannt werden) über ihre – in der Vergangenheit liegende – Esssucht und ihre anfängliche Überzeugung nicht zu stillen. Sie beschreibt wie schließlich aus einer „Zwangsstilllage“ eine glückliche Stillbeziehung wurde. Offen und ehrlich.
Viel Spaß beim Lesen!
Still Dich nicht so an!
Als ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt, wusste ich recht schnell, ich werde das Kind nicht stillen. Ich kann nicht sagen, warum ich mich bereits so früh dagegen entschied, denn eigentlich sprach nichts dagegen.
Ich war glücklich über die Schwangerschaft, auch mein Partner war begeistert. Einige Monate später hielten wir einen gesunden Jungen im Arm, den wir über alles liebten und lieben.
Kontrollverlust Schwangerschaft
Die Schwangerschaft verlief unkompliziert, dennoch empfand ich sie als Belastung – für mich als Persönlichkeit und für meinen Körper.
Es war für mich ein Alptraum zusehen zu müssen, wie der eigene Leib aus den 38-er Nähten platzt. Das einzige, was ich tun konnte, war mich gesund zu ernähren und mich viel zu bewegen, doch ich nahm natürlich stetig zu. Das machte mich wahnsinnig, denn ich verliere nicht gerne die Kontrolle über meinen Körper.
Warum? In meinen frühen Zwanzigern litt ich unter einer ausgeprägten Essstörung in Form einer Bulimie. Neben einer Selbsthilfegruppe, die ich gelegentlich besuchte und einer abgebrochen Psychotherapie, versuchte ich die Krankheit selbst in den Griff zu bekommen. Grundübel und ständiger Auslöser bulimischer Attacken war die Einsamkeit. Als ich dann in eine feste Beziehung kam, war das Problem so gut wie verschwunden.
Während der Schwangerschaft allerdings fühlte ich mich wieder furchtbar, weil sich mein Körper(-gefühl) veränderte und ich nichts dagegen machen konnte. Es hat mich regelrecht angekotzt bei der Hebamme auf die Waage zu steigen – ich wollte am liebsten gar nicht hinschauen!
Ich glaubte übrigens lange, ich sei nicht therapierbar – ohne die Kinder hätte ich es wohl auch nie geschafft. Heute jedoch käme es mir nicht mehr in den Sinn zu essen, um es dann auf schnellstem Weg wieder los zu werden.
Halbherziger Stillversuch
Den Entschluss, nicht stillen zu wollen, teilte ich zunächst keinem mit.
Vielleicht aus egoistischen Gründen? Mir fehlten lieb gewonnene schlechte Gewohnheiten und so freute ich mich auf meine Zigaretten und ein Glas Wein.
Vielleicht wollte ich nicht darüber reden, weil meine Vergangenheit die Wurzel meiner Abneigung gegen das Stillen war? Hat es nicht einen Makel inne, sein Kind nicht zu stillen, weil man psychisch nicht ganz gesund ist, beziehungsweise war?
Ich legte jedenfalls den Kleinen, weil man das ja so macht, die ersten Tage immer wieder an. Da der Milcheinschuss auf sich warten ließ und ich mir nicht vorstellen konnte, dass die paar Tröpfchen ausreichend sind, bot ich ihm noch zusätzlich die Flasche an. Und so nahm die Natur ihren Lauf und die Quelle versiegte.
Flaschenkind
Claus Hipp übernahm die Ernährung des Zöglings und wurde ein guter, wenn auch preisintensiver Begleiter der Familie. Ich konnte meinen Lebensradius erweitern und die Aufgabe der Fütterung an andere Bezugspersonen abtreten. Dieses Gefühl der körperlichen Unabhängigkeit hatte ich während der Schwangerschaft sehr vermisst und war froh, es wieder zu haben.
Zweites Kind – zweiter Stillversuch
Als der Kleine ein Jahr alt wurde, hielt ich erneut einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Diesmal entschied ich mich nicht von vornherein gegen das Stillen.
Neun Monate später gebar ich unseren zweiten Sohn und wieder war ich nach der Schwangerschaft froh, meinen Körper für mich zu haben. Obwohl ich zugeben muss, dass mich die körperlichen Veränderungen diesmal nicht so sehr belasteten. Zum einen wusste ich, der Bauch geht wieder weg und zum anderen hatte ich nicht die Zeit, mich mit den Veränderungen auseinanderzusetzen.
Ferner wusste ich seit Mitte der Schwangerschaft, dass ich nach vier Monaten vollzeit arbeiten gehe und der Papa die Elternzeit übernimmt.
Der Job, den ich vorher machte, war nichts für Eltern, da ich ständig auf Abruf stand. Und so konnte ich eine Stelle nicht ausschlagen, die genau das bot, was wir als Familie benötigten – aber dann zu besetzen sei, wenn mein Kleiner vier Monate alt ist.
Ich sagte ich mir zum Thema Stillen:
„OK – in den vier Monaten, kann ich es mal probieren und wenn es nichts für mich ist, dann lass ich es.“
Stillen ist praktisch
Da wir beide Kinder im Geburtshaus auf die Welt brachten und im Anschluss gleich nach Hause gingen, landeten wir schnell im Alltag. Beim Zweiten merkte ich das noch mehr, da der Große viel Aufmerksamkeit einforderte.
Ich hatte kaum Zeit, der Spagat zwischen den Jungs war für mich sehr schmerzhaft. Ständig das Gefühl, dass einer zurückstecken muss.
Am schnellsten konnte ich die Bedürfnisse vom Kleinen befrieden, indem ich stillte und dies wurde vom Großen anstandslos und ohne Proteste akzeptiert. Stillen war für mich ein Allheilmittel: wenn der Kleine quängelte, hungrig oder müde war – zack, rann an die Brust und Ruhe ist. Ferner hatte ich immer eine Hand frei.
Und so rannte ich in den ersten Wochen oft mit einem stillenden Kind auf dem Arm, dem anderen hinterher, weil er gerade wieder Blödsinn anstellte.
Das war schon praktisch.
Stillen vereinnahmt
Im Hochsommer wurde es richtig warm. Der Kleine wollte noch öfter an die Brust als ohne hin schon. Da ich nach Bedarf stillte, was auch immer ich unter Bedarf verstand, war es nun fast stündlich, dass ich die Brust reichte. Langsam merkte ich, wie es mich geißelte.
Ich hatte das Gefühl 99 Prozent des Tages, körperlich für den kleinen Mann anwesend sein zu müssen. Die Übergabe an den Papa, um etwa den Großen aus der Krippe zu holen und noch was zu unternehmen, war sehr schwierig. Ständig saß die Zeit im Nacken und die Angst, der Kleine könnte vor Hunger oder Durst schreien. Meistens übernahm dann also der Papa die Unternehmungen mit dem großen Bruder, der mir dadurch sehr, sehr fehlte.
Nächtliche Stillroutine
Jeden Abend brachte ich den Kleinen ins Bett. Er nuckelte sich an meiner Brust fix in den Schlaf und ich konnte mich danach wieder dem noch lange wachen, großen Kind widmen.
Zu dieser Zeit ging mein Mann noch arbeiten – auch oft am Abend, so dass wir häufig allein waren.
Die Nächte gestalteten sich durch das Stillen sehr entspannt. Ich musste nicht, wie bei der Flasche aufstehen und zubereiten sondern einfach nur „andocken“. Auch die Morgende waren deutlich entspannter. Wenn das große Kind mit dem Papa aufgestanden war – meist so gegen fünf Uhr – blieben wir liegen und der Kleine genoss sein Frühstück im Bett. Das waren dann wieder die Momente, in denen ich das Stillen mochte.
Ein schönes Stillgefühl
Ich erlebte die Momente, welche ich mit dem Kleinen sowohl stillend, als auch einfach nur so verbrachte, bedeutend bewusster, als beim ersten Kind. Zum einem lag es daran, dass ich feststellte, wie schnell man doch vergisst und mir ganz fest vornahm, jede Sekunde in mich einzusaugen – für immer abzuspeichern.
Zum anderen kann und möchte ich nicht bestreiten, dass es doch eine besondere Nähe ist, welche durch das Stillen aufgebaut wird. Sie tat mir gut. Als ich so weit war und das Stillen nicht nur als praktische Ernährungsform betrachten konnte, sondern es zuließ, dass es mir gefällt, waren die vier Monate Elternzeit um.
Ende der Elternzeit
Dann kam der Tag, an dem ich wieder arbeiten wollte, sollte, musste, konnte… Zu diesem Zeitpunkt war der Kleine 16 Wochen alt und wurde bis auf ein paar Zusatzschlückchen voll gestillt.
Ich konnte nicht mehr sagen, dass es mir egal war. Ich hatte zugegeben etwas Bauchschmerzen – aber ich war so voller Vertrauen in Kind und Mann, dass ich wusste, es würde ohne größere Probleme klappen.
Und es kam auch so. Die Umstellung auf Fertignahrung hatten wir schon zwei knappe Wochen vorher begonnen, tagsüber bekam der kleine Mann hin und wieder Flasche statt Brust.
Ich selbst spürte, dass mir etwas fehlte – nicht nur körperlich, denn ich vermisste auch die Nähe und die Zuwendung, die mir der kleine Mann während den Stillmahlzeiten gab.
Abpumpen während der Arbeitszeit
Auf Arbeit musste ich mittags abpumpen, da mein BH die Ausmaße meiner Brust nicht mehr fassen konnte. Ich wählte meine Oberteile immer so, dass es nicht ganz so auffiel, wie sehr meine Brust über den Tag wuchs. Die abgepumpte Milch stellte ich dann dezent verpackt in den Kühlschrank.
Ohne weiteres hätte mir auch eine Stillpause nach dem Mutterschutzgesetz zugestanden. Ich wollte aber nicht schon am ersten Tag mit so einer „Forderung“ an meinen Chef herantreten, dem ich sehr dankbar war, dass er mir diese Stelle „trotz“ zwei kleiner Kinder anbot, wohl wissend, was daran hängt.
Stillen nach der Arbeit
Die erste Handlung zu Hause war natürlich das Stillen – eine Erleichterung für mich und für den Kleinen. Er schmatzte und schnurrte, klang fast wie eine kleine Katze und grub sich in mich ein. Diese Nähe tat nach der frühen Trennung immer sehr gut.
Und heute?
Heute ist der kleine Mann acht Monate alt und ich stille ihn abends zum Einschlafen, in der Nacht und am Wochenende häufiger. Meine Brust passt sich an – erstaunlich.
Wir haben unseren Weg gefunden und ich weiß um die Vorteile des Stillens, auch wenn ich die Abhängigkeit des Kindes zu meiner Person nach wie vor nicht mag. Es ist für mich – es ist für uns – eine kleine Insel im Alltag geworden, auf der wir nur zu zweit sind und uns keiner stört.
Der Große kommt manchmal zu mir gerannt, wenn der Kleine weint und reißt energisch an meinem T-Shirt hin und her, deutet auf meine Brust und sagt „Kakao“. Wenn ich den Kleinen abends zu Bett bringe, bleibe ich meist noch ein paar Minuten länger liegen – obwohl er schon tief und fest schläft, hin und wieder etwas nuckelt und leise schnarcht. Das sind dann wieder diese Augenblicke, die ich ganz tief in mich einsauge, um sie nie zu vergessen.
Ich bin heute glücklich, dass ich mich beim zweiten Kind für das Stillen entschieden habe, dennoch weiß ich nicht, ob ich, sollten wir ein weiteres Kind bekommen, stillen würde oder nicht. Neben dieser unendlichen Nähe und dem Frieden, die das Stillen geben, macht mir dieser hohe Grad der Abhängigkeit nach wie vor sehr viel Angst.
Vielen herzlichen Dank an dieser Stelle noch einmal an meine Gastschreiberin.
Mir liegt es sehr am Herzen zu zeigen, dass hinter fast jeder vermeintlich harten Stillabneigung, ein nachvollziehbarer Beweggrund steckt. Ich möchte eine Lanze brechen für Frauen, die (lange) stillen, aber auch für die, die nicht stillen wollten oder konnten, denn jede Frau hat das Recht ihren Weg zu gehen. Deswegen bitte ich euch, mir eure Stillgeschichte mitzuteilen – gerne auch anonym.
Ich bin sehr gespannt,
Eure Kathrin
(Quelle der Bilder: http://www.sxc.hu/)